London. Theresa May hat sich beim Parteitag der Konservativen mit einer Ruck-Rede zu Wort gemeldet. Die Regierungschefin war aber anschlagen.
Die Geier kreisen, doch die Chefin bleibt. Das wäre, auf den Punkt gebracht, die Botschaft, die der Parteitag der britischen Konservativen aussandte, der am Mittwoch in Manchester zu Ende ging.
Premierministerin und Parteivorsitzende Theresa May ist zwar angeschlagen, aber noch lange nicht ausgezählt. Mit einer Ruck-Rede zum Abschluss des Parteitages forderte May sowohl Parteigenossen wie Kabinettskollegen auf, „sich zusammenzureißen“ und „unsere Pflicht für Großbritannien“ zu erfüllen.
May wehrte Zweifel an ihrer Führungsrolle ab und gab sich kämpferisch. „Es war niemals mein Stil“, rief sie, „mich vor einer Herausforderung zu verstecken“ und sie werde sich „angesichts von Schwierigkeiten nicht zurückziehen und aufgeben“.
Boris Johnson bewirbt sich mit Rede um Parteivorsitz
Herausforderungen für May hatte es auf dem Parteitag durchaus gegeben. Besonders von ihrem Außenminister Boris Johnson, der wegen seines Haarschopfs und seiner Neigung zur Intrige auch das „blonde Gift“ genannt wird.
Johnson hatte es gewagt, in einem Interview vier rote Linien beim Brexit zu ziehen, die den Verhandlungsspielraum für die Premierministerin einengen würden. Schon bei früheren Interventionen hatte der Außenminister die Autorität von May herausgefordert und war bis an die Grenzen der Illoyalität gegangen.
In seiner Rede am Dienstag pries Johnson die Premierministerin. Wie immer, wenn Johnson zu den Delegierten spricht, war der Saal voll und die Reaktion des Publikums enthusiastisch. Seine Rede war eine als Loyalitätsadresse verkleidete Bewerbung um den Top-Job. Allein durch seinen Erfolg beim Parteivolk stellt er eine Herausforderung für May dar, weil er demonstriert, um wieviel besser er in der politischen Ansprache ist als die oft hölzern wirkende May.
Johnson leistet sich verbalen Ausrutscher
Später am Dienstagabend leistete sich Johnson wieder einmal einen seiner verbalen Ausrutscher. Die libysche Stadt Sirte, sagte er, könne zu einem blühenden Dubai werden, britische Geschäftsleute wären bereit zu investieren. „Sie müssen nur“, lachte er, „die Leichen wegräumen.“
Die geschmacklose Bemerkung wurde scharf kritisiert. Kriegsopfer für nichts weiter als Unannehmlichkeiten für Geschäftsleute zu halten, sagte Labours außenpolitische Sprecherin Emily Thornberry, sei „unglaublich krass, kaltblütig und grausam“. Auch Johnson Parteifreundin Heidi Allen hielt die Äußerung für „100 Prozent inakzeptabel“ und forderte Johnsons Entlassung.
Premier Theresa May ist eine Stilikone
Es ist nicht nur der Außenminister, der in Manchester als möglicher Nachfolger von May gehandelt wurde. Der wie ein Landjunker auftretende Jacob Rees-Mogg zog die Delegierten ebenso an wie Ruth Davidson, die Chefin der schottischen Konservativen, die mit Witz, Charisma und Kompetenz sich als zukünftige Vorsitzende anbietet.
Ins Bild gebracht wurden Mays Nöte durch den Komödianten Simon Brodkin, Künstlername: Lee Nelson. Er schmuggelte sich in den Saal, drängte sich mitten in Mays Rede nach vorne und drückte der Premierministerin einen sogenannten P45 in die Hand, also das Formular eines offiziellen Kündigungsschreiben.
„Boris hat mich dazu angestiftet“, witzelte Brodkin, bevor er von den Sicherheitskräften aus dem Saal gedrängt wurde. Mays Zuhörer reagierten solidarisch und sprangen auf, um ihr eine stehende Ovation zu geben. Für Lacher sorgte auch eine Szene, in der ein Teil der Wanddekoration während Mays Rede herunterfiel.
Theresa May geschwächt – aber Entthronung ist vertagt
Mit ihrer Rede wollte die Premierministerin nicht nur demonstrieren, dass es für eine Ablösung noch zu früh ist und sie die Zügel fest in der Hand zu behalten gedenkt. Sie beschwor ihre Mission als Regierungschefin: „jede Ungerechtigkeit im Land wegzufegen“. Sie wolle Benachteiligten aller Couleur helfen und „den britischen Traum erneuern“, nach dem jede Person, ungeachtet der Hautfarbe, Religion, Klasse oder des Alters ihr Potential erfüllen kann. May kündigte mehrere Initiativen an, um gerade jungen Menschen und Geringverdienern zu helfen.
Der Immobilienmarkt stecke in einer Krise, sagte sie, weil die Häuser immer teurer und Erstkäufer aus dem Markt gedrängt würden. Sie kündigte an, zwei Milliarden Pfund in den sozialen Wohnungsbau zu stecken sowie günstige Darlehen für den Wohneigentumserwerb bereitzustellen. Außerdem soll es eine Preisdeckelung für Energieunternehmen geben.
Ihre Rede verlor an Wucht, weil die Premierministerin von einem hartnäckigen Husten geplagt wurde, der sie ein ums andere Mal verstummen ließ. Der Saal reagierte mit sympathischem Applaus. Man hätte es nicht deutlicher inszenieren können: Theresa May ist geschwächt, aber ihre Entthronung ist vorerst vertagt.