Berlin. Eine Unabhängigkeit Kataloniens wäre der falsche Weg. Der Konflikt muss politisch entschärft werden. Kleinstaaterei bringt nichts.

Mit politischer Klugheit hat das alles nichts zu tun. Eine Mehrheit der rund 7,5 Millionen Katalanen dürfte am Sonntag über die Abspaltung ihrer Region von Spanien abstimmen. Und was macht der Chef der Zentralregierung in Madrid, Mariano Rajoy? Er kommandiert 10.000 Polizisten in das Gebiet im Nordosten des Landes ab. Auftrag der Sicherheitskräfte: Aufbau einer Drohkulisse, Konfiszierung der Wahlzettel, Absperrung der Wahllokale.

Diese Schritte sind kontraproduktiv. Rajoy facht mit seiner Bulldozer-Politik den Widerstand der Katalanen weiter an. Deren regionale Identität mit eigener Sprache ist über Jahrhunderte gewachsen. Auch die Unterdrückungswerkzeuge der Franco-Diktatur konnte dem Stolz und dem kulturellen Selbstbewusstsein der Bevölkerung nichts anhaben. Sie wird Rajoys Muskelspiele ebenfalls wegstecken. Die Katalanen fühlen sich im spanischen Zentralstaat diskriminiert und finanziell untergebuttert. Die wohlhabende Region steuert rund 20 Prozent zur Wirtschaftsleistung des ganzen Landes bei, zahlt aber viel mehr nach Madrid, als sie zurückbekommt.

Als Schlüsselerlebnis gilt vielen Katalanen das Jahr 2010

Die Spannungen haben sich in den vergangenen Jahren immer weiter hochgeschaukelt. Doch Rajoy hat die Brisanz nicht erkannt, antwortete mit Brachial-Rhetorik und einer Politik der eisernen Faust. Als Schlüsselerlebnis gilt vielen Katalanen das Jahr 2010. Damals kippte das spanische Verfassungsgericht ein weitgehendes Autonomiestatut, das zuvor per Referendum in Katalonien und selbst von der großen Mehrheit im nationalen Parlament in Madrid gebilligt worden war. Initiator der Verfassungsklage war Rajoy, seinerzeit noch Chef der Opposition.

Das Problem: Der Premier verbarrikadiert sich hinter einer formaljuristischen Position und zeigt null Flexibilität. Er beruft sich auf Artikel 155 der spanischen Verfassung, um die Volksabstimmung zu verhindern. Der Passus erlaubt der Zentralregierung, die „notwendigen Maßnahmen“ zu ergreifen, damit eine Region ihre Pflichten erfüllt. Rajoy sitzt dem Irrtum auf, dass sich die aufgestaute Unzufriedenheit in Katalonien mit reiner Paragrafenreiterei und polizeistaatlichen Methoden lösen ließe. Er muss verbal abrüsten und Gesprächsbereitschaft zeigen.

Massen demonstrieren für Unabhängigkeit Kataloniens

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    In einer globalen Welt stehen die Zeichen auf mehr Kommunikation

    Das gilt aber auch für den Chef der katalanischen Regionalregierung Carles Puigdemont. Dieser hat sich, wie Rajoy, in eine Konfrontationsstrategie verbissen und die Eskalation zum Teil mit provoziert. Eine Unabhängigkeit Kataloniens wäre der falsche Weg. In einer global vernetzten Welt stehen die Zeichen auf mehr Kommunikation und Zusammenarbeit, nicht auf Kleinstaaterei. Es macht keinen Sinn, die ohnehin höchst komplexe Europäische Union um Regionen wie Korsika, Südtirol oder das Baskenland zu erweitern.

    Nein, der Konflikt in Katalonien muss politisch entschärft werden. In Deutschland gibt es zwar keine Bestrebungen des Separatismus. Aber der Streit ums Geld wird mit harten Bandagen ausgetragen – bis hin zur Klage vor dem Bundesverfassungsgericht. So drohten reiche Bundesländer wie Bayern, Baden-Württemberg oder Hessen jahrelang, aus dem Länderfinanzausgleich auszusteigen, der „Armenhäuser“ wie Berlin, das Saarland oder Bremen bevorzuge. Am Ende rang sich der Bund zu einem Kompromiss durch und macht deutlich mehr Mittel für die Länder locker.

    Auf Katalonien übertragen heißt das Rezept: Rajoy muss von seinem hohen Ross heruntersteigen und der Region ein Angebot machen. Mehr Autonomie, mehr Anteil am Steueraufkommen – das wäre die Lösung. Man kann nur hoffen, dass nach dem Referendum am Sonntag auf beiden Seiten Vernunft einkehrt.