Berlin. SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz bereitet sich auf eine Niederlage vor. Dabei kämpft er bis zuletzt. Die SPD steht weiter hinter ihm.

Das muss man SPD-Kanzlerkandidat

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sind, so kämpferisch gibt sich Schulz im Endspurt vor dem Wahlsonntag. Mehr als jeder dritte Wähler sei unentschieden, rechnet er am Freitag vor. „Alles ist möglich“, versichert der Herausforderer. Er wolle Bundeskanzler werden, Angela Merkel müsse abgelöst werden.

Die Stimmung ist gut auf den letzten Wahlkundgebungen der „Martin Schulz live“-Tour, auch am Freitagabend auf dem Berliner Gendarmenmarkt: Während die Demoskopen ein historisches Debakel für die SPD voraussagen, wird der Kandidat ungerührt als „der nächste Bundeskanzler der Bundesrepublik“ begrüßt. Schulz bahnt sich winkend einen Weg durch die Menge, von Kameras umringt. Dankbar brennt der Kandidat dann ein sozialdemokratisches Feuerwerk ab: Er fordert mehr Geld für Pflege und Bildung, gleiche Bezahlung für Männer und Frauen, keine Kita-Gebühren und Schluss mit befristeten Arbeitsverträgen.

SPD-Kandidat Schulz klingt wirklich wütend

Schulz klingt empört, wo er Ungerechtigkeit anprangert, und er scheint wirklich wütend, wenn er über Merkel spricht: Debattenverweigerung und Prinzipienlosigkeit wirft er der Kanzlerin vor, sie sei „Weltmeisterin des Ungefähren“. Am Ende hebt der Kandidat unter Jubel die Hände zum Victory-Zeichen. 40 solcher Auftritte hat er seit Ende August in der heißen Wahlkampfphase absolviert, die Plätze sind voll, bis zu 5000 Zuhörer lockt der SPD-Chef an. Schulz gibt den Menschenfischer, er ist nah an den Bürgern, hunderte von Selfies mit Sympathisanten sind bei den Kundgebungen entstanden.

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    Aus der Resonanz bei seinen Anhängern bezieht Schulz einen Rest von Zuversicht. Und doch weiß er, dass er am Sonntagabend vor dem Scherbenhaufen seiner Kampagne stehen wird. Wahlkampf verkehrt herum: Der SPD-Kanzlerkandidat ist als Held gestartet, am Ende seiner Mühen aber scheint nur noch die Frage, wie schwer seine Niederlage sein wird.

    Dabei sah es Ende Januar, als Schulz zum Kanzlerkandidaten ausgerufen wurde, so aus, als habe der Genosse eine echte Siegchance - als habe das Land genug von der Kanzlerin, als gebe es den Wunsch nach Veränderung. Zeitweise liegt Schulz in Umfragen vor Merkel, die SPD überspringt die 30-Prozent-Grenze, die Genossen feiern ihren Spitzenmann euphorisch als „George Clooney der SPD“ und wählen ihn mit 100 Prozent zum Vorsitzenden.

    Erst später verabschiedet die SPD das Wahlprogramm

    Schulz versichert heute, der Hype sei ihm von Anfang an unheimlich gewesen. Vielleicht hat er deshalb nie ein Rezept gefunden, den Schwung in eine dauerhafte Aufwärtsbewegung umzusetzen. So sehr sich Schulz um die Kandidatur bemüht hatte, so wenig hat er nun einen richtigen Plan. Er zieht mit der Forderung nach sozialer Gerechtigkeit durchs Land, doch was das genau heißt, lässt Schulz zunächst offen: Er bleibt inhaltlich vage, verschiebt die Entscheidung über das Wahlprogramm – auch auf Bitten der SPD-Wahlkämpfer in NRW – und bremst zeitweise seine öffentliche Präsenz.

    Die Vorsitzenden der SPD seit 1946

    Nach dem Zweiten Weltkrieg musste sich die SPD neu organisieren. Der 1895 in Westpreußen geborene Kurt Ernst Carl Schumacher führte die Partei von 1946 bis 1952.
    Nach dem Zweiten Weltkrieg musste sich die SPD neu organisieren. Der 1895 in Westpreußen geborene Kurt Ernst Carl Schumacher führte die Partei von 1946 bis 1952. © imago/ZUMA/Keystone | imago stock&people
    Nach dem Tod Kurt Schumachers 1952 übernahm der gebürtige Magdeburger Erich Ollenhauer das Amt des SPD-Vorsitzenden. Er war zugleich SPD-Fraktionschef im Bundestag. Beide Ämter hielt er bis zu seinem Tod 1963.
    Nach dem Tod Kurt Schumachers 1952 übernahm der gebürtige Magdeburger Erich Ollenhauer das Amt des SPD-Vorsitzenden. Er war zugleich SPD-Fraktionschef im Bundestag. Beide Ämter hielt er bis zu seinem Tod 1963. © imago/ZUMA/Keystone | imago stock&people
    Der frühere Regierende Bürgermeister von Berlin, Willy Brandt, übernahm den Parteivorsitz 1964 und hielt das Amt bis 1987.
    Der frühere Regierende Bürgermeister von Berlin, Willy Brandt, übernahm den Parteivorsitz 1964 und hielt das Amt bis 1987. © BM | imago/ Sven Simon
    Der gebürtige Göttinger Hans-Jochen Vogel war SPD-Vorsitzender von 1987 bis 1991. Zuvor war er unter anderen Bürgermeister von München und Regierender Bürgermeister von Berlin gewesen und hatte zwei Bundesministerien geführt.
    Der gebürtige Göttinger Hans-Jochen Vogel war SPD-Vorsitzender von 1987 bis 1991. Zuvor war er unter anderen Bürgermeister von München und Regierender Bürgermeister von Berlin gewesen und hatte zwei Bundesministerien geführt. © imago stock&people | imago stock&people
    Björn Engholm führte die Sozialdemokraten von 1991 bis 1993. Er war der designierte Kanzlerkandidat seiner Partei, trat im Zuge der Barschel-Affäre aber von allen politischen Ämtern zurück.
    Björn Engholm führte die Sozialdemokraten von 1991 bis 1993. Er war der designierte Kanzlerkandidat seiner Partei, trat im Zuge der Barschel-Affäre aber von allen politischen Ämtern zurück. © imago/Rainer Unkel | imago stock&people
    Nach dem Rücktritt von Björn Engholm führte der spätere Bundespräsident Johannes Rau die SPD kommissarisch.
    Nach dem Rücktritt von Björn Engholm führte der spätere Bundespräsident Johannes Rau die SPD kommissarisch. © imago/photothek | Thomas Imo
    Bei einer Ur-Wahl 1993 sprach sich eine Mehrheit der SPD-Mitglieder für den rheinland-pfälzischen Ministerpräsidenten Rudolf Scharping aus. Er führte die Partei bis 1995.
    Bei einer Ur-Wahl 1993 sprach sich eine Mehrheit der SPD-Mitglieder für den rheinland-pfälzischen Ministerpräsidenten Rudolf Scharping aus. Er führte die Partei bis 1995. © imago stock&people | imago stock&people
    Oskar Lafontaine war von 1995 bis 1999 SPD-Vorsitzender. 2005 verließ er die Partei und wechselte zur neu gegründeten Wahlalternative Arbeit & soziale Gerechtigkeit (WASG), die später in der Partei Die Linke aufging.
    Oskar Lafontaine war von 1995 bis 1999 SPD-Vorsitzender. 2005 verließ er die Partei und wechselte zur neu gegründeten Wahlalternative Arbeit & soziale Gerechtigkeit (WASG), die später in der Partei Die Linke aufging. © BM | imago/ Jürgen Eis
    Der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder übernahm den SPD-Vorsitz 1999 und hielt das Amt bis 2004.
    Der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder übernahm den SPD-Vorsitz 1999 und hielt das Amt bis 2004. © imago stock&people | imago stock&people
    Franz Müntefering führte die SPD von 2004 bis 2005. Er verzichtete 2005 auf eine erneute Kandidatur.
    Franz Müntefering führte die SPD von 2004 bis 2005. Er verzichtete 2005 auf eine erneute Kandidatur. © BM | imago/ Rainer Unkel
    Nach Münteferings Rückzug wurde Matthias Platzeck im November 2005 zum Vorsitzenden gewählt. Nach zwei Hörstürzen in den Wochen darauf trat er im April 2006 aus gesundheitlichen Gründen zurück.
    Nach Münteferings Rückzug wurde Matthias Platzeck im November 2005 zum Vorsitzenden gewählt. Nach zwei Hörstürzen in den Wochen darauf trat er im April 2006 aus gesundheitlichen Gründen zurück. © BM | imago/ Michael Schöne
    Kurt Beck übernahm zunächst kommissarisch und wurde dann auf einem Sonderparteitag bestätigt. 2008 erklärte er seinen Rücktritt, nachdem durch Indiskretionen bekannt geworden war, dass Frank-Walter Steinmeier die SPD als Spitzenkandidat in die Bundestagswahl 2009 führen sollte.
    Kurt Beck übernahm zunächst kommissarisch und wurde dann auf einem Sonderparteitag bestätigt. 2008 erklärte er seinen Rücktritt, nachdem durch Indiskretionen bekannt geworden war, dass Frank-Walter Steinmeier die SPD als Spitzenkandidat in die Bundestagswahl 2009 führen sollte. © imago stock&people | imago stock&people
    Franz Müntefering stand von Becks Rücktritt 2008 bis zum schlechten Abschneiden der SPD bei der Bundestagswahl 2009 zum zweiten Mal an der Parteispitze.
    Franz Müntefering stand von Becks Rücktritt 2008 bis zum schlechten Abschneiden der SPD bei der Bundestagswahl 2009 zum zweiten Mal an der Parteispitze. © BM | imago/ Rainer Unkel
    Sigmar Gabriel wurde einer der langjährigsten Vorsitzenden der sozialdemokratischen Partei. Er führte die Partei von 2009 bis 2017 an.
    Sigmar Gabriel wurde einer der langjährigsten Vorsitzenden der sozialdemokratischen Partei. Er führte die Partei von 2009 bis 2017 an. © imago stock&people | imago stock&people
    Martin Schulz wurde am 19. März 2017 zum Vorsitzenden gewählt. Auf innerparteilichen Druck hin erklärte er nach seiner erfolglosen Kanzlerkandidatur am 9. Februar 2018 schriftlich seinen „Verzicht auf den Eintritt in die Bundesregierung“. Am 13. Februar 2018 gab er seinen Rücktritt bekannt.
    Martin Schulz wurde am 19. März 2017 zum Vorsitzenden gewählt. Auf innerparteilichen Druck hin erklärte er nach seiner erfolglosen Kanzlerkandidatur am 9. Februar 2018 schriftlich seinen „Verzicht auf den Eintritt in die Bundesregierung“. Am 13. Februar 2018 gab er seinen Rücktritt bekannt. © imago/ZUMA Press | Emmanuele Contini
    Andrea Nahles, die erste Frau an der Parteispitze, führte die SPD von April 2018 bis Juni 2019. Am 2. Juni 2019 kündigte Nahles ihren Rücktritt als SPD-Vorsitzende und Chefin der Bundestagsfraktion an. Die 48-Jährige legte auch ihr Bundestagsmandat nieder und kündigte an, sich komplett aus der Politik zurückzuziehen.
    Andrea Nahles, die erste Frau an der Parteispitze, führte die SPD von April 2018 bis Juni 2019. Am 2. Juni 2019 kündigte Nahles ihren Rücktritt als SPD-Vorsitzende und Chefin der Bundestagsfraktion an. Die 48-Jährige legte auch ihr Bundestagsmandat nieder und kündigte an, sich komplett aus der Politik zurückzuziehen. © dpa | Bernd von Jutrczenka
    Thorsten Schäfer-Gümbel, SPD-Vorsitzender in Hessen, Manuela Schwesig (Mitte), Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern und Malu Dreyer, Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz, übernahmen den Parteivorsitz im Juni 2019 kommissarisch.
    Thorsten Schäfer-Gümbel, SPD-Vorsitzender in Hessen, Manuela Schwesig (Mitte), Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern und Malu Dreyer, Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz, übernahmen den Parteivorsitz im Juni 2019 kommissarisch. © Adam Berry/Getty Images | Adam Berry
    Ende 2019 hatten sich sechs Bewerberteams der SPD-Basis in 23 Regionalkonferenzen vorgestellt. Nach der ersten Wahl der Mitglieder gab es kein klares Ergebnis, deshalb traten Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken in einer Stichwahl gegen Vizekanzler Olaf Scholz und Klara Geywitz an. Walter-Borjans und Esken setzten sich durch. Sie führten die Partei von Dezember 2019 bis Dezember 2021.
    Ende 2019 hatten sich sechs Bewerberteams der SPD-Basis in 23 Regionalkonferenzen vorgestellt. Nach der ersten Wahl der Mitglieder gab es kein klares Ergebnis, deshalb traten Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken in einer Stichwahl gegen Vizekanzler Olaf Scholz und Klara Geywitz an. Walter-Borjans und Esken setzten sich durch. Sie führten die Partei von Dezember 2019 bis Dezember 2021. © FUNKE Foto Services | Reto Klar
    Norbert Walter-Borjans schied dann auf eigenen Wunsch aus der Parteiführung aus. Saskia Esken machte weiter. Beim SPD-Parteitag im Dezember 2021 entschied sich die Partei erneut für eine Doppelspitze.
    Norbert Walter-Borjans schied dann auf eigenen Wunsch aus der Parteiführung aus. Saskia Esken machte weiter. Beim SPD-Parteitag im Dezember 2021 entschied sich die Partei erneut für eine Doppelspitze. © dpa
    Neben Esken führt seither der bisherige SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil (*1978) die
    Neben Esken führt seither der bisherige SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil (*1978) die "Alte Tante SPD". © Privat | Privat
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    Als die SPD schließlich Ende Juni ein mit Wohltaten gespicktes Wahlprogramm beschließt und Schulz noch eigene Forderungen nachlegt, ist es schon zu spät: Drei Landtagswahlen hat die SPD da bereits verloren, eine Katastrophe so kurz vor der Bundestagswahl. Der „Schulz-Hype“ hat der SPD also nicht geholfen, die Umfragen sind längst auch im Bund eingebrochen.

    TV-Duell Anfang September wollte Schulz die Kanzlerin stellen

    Schulz weiß genau, dass er nach dem Debakel in der Herzkammer der SPD mit schwerem Gepäck bergauf kämpft. Seine Versuche, jetzt inhaltlich in die Offensive zu kommen, verpuffen – die Union und Kanzlerin Merkel lassen Schulz mit seinen vielen Vorstößen zu Rente, Steuern oder Bildung kühl auflaufen. Ihm fehlt die Bühne; jetzt rächt sich, dass er kein Regierungsamt hat und kein Bundestagsmandat. Der Kandidat zeigt sich nun mitunter dünnhäutig, er hadert mit seinen Beratern und fühlt sich von Medien ungerecht behandelt. Sein Wahlkampfmanager wirft wegen einer schweren Erkrankung hin, dann zerbricht obendrein die rot-grüne Landesregierung in Niedersachsen.

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      Noch hat Schulz eine Hoffnung: Beim TV-Duell Anfang September will er die Kanzlerin stellen, mit einem starken Auftritt die Stimmung im Land zu seinen Gunsten drehen. Das Kalkül geht nicht auf, die meisten Zuschauer sehen Merkel als Siegerin. Schulz kämpft weiter, die Partei mit erstaunlicher Disziplin auch: 2,5 Millionen Haustürbesuche bei Wählern haben die Genossen absolviert. Der Kanzlerkandidat rackert bis zuletzt, was ihm den Respekt der Partei sichert.

      Doch parallel laufen längst seine Vorbereitungen für das Krisenmanagement am Wahlabend: Auch bei einem katastrophalen SPD-Ergebnis wird Schulz wohl vorerst Parteichef bleiben, versichern Eingeweihte. Die Signale aus der engeren Parteiführung stehen auf Rückhalt.