Berlin. Die Bundesanwaltschaft ermittelt gegen zwei Männer, die Mordanschläge gegen Linke geplant haben sollen. Wie groß war ihr Netzwerk?

Es ist etwa vier Uhr am Morgen, als das Sondereinsatz-Kommando (SEK) anrückt. Die SEK-Beamten schlagen an sechs Orten in Mecklenburg-Vorpommern gleichzeitig zu, vor allem in Rostock und Schwerin, in einzelnen Stadtteilen sowie in weiteren Orten in der Umgebung, in Zittow, Grabow und Banzkow. Blendgranaten explodieren, Spürhunde bellen, Fensterscheiben klirren, vermummte, schwerbewaffnete Polizisten sowie Zivilfahnder entsteigen Wagen mit zumeist Berliner und Bonner Kennzeichen.

Es ist eine spektakuläre und groß angelegte Aktion. Das Bundeskriminalamt (BKA) ist federführend und wird von Spezialkräften der Bundespolizei unterstützt. Nicht minder aufsehenerregend ist der Hintergrund des Einsatzes: Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat lautet der Verdacht von Generalbundesanwalt Peter Frank.

Angeblich extra ohne örtliche Polizisten zugegriffen

Die zwei Männer, die vernommen und deren Wohnungen durchsucht werden, sollen geplant haben, Sympathisanten der linken Szene zu töten. Ein rechtsextremes Netzwerk? Noch delikater ist, dass es sich bei den Verdächtigen um einen Polizisten und einen Lokalpolitiker handelt.

Das würde wiederum erklären, was im Norden gemunkelt wird, nämlich den Verzicht auf örtliche Polizeikräfte beim Zugriff; offenkundig aus Angst vor undichten Stellen, davor also, dass die Verdächtigen von Insidern gewarnt werden könnten. Festnahmen gab es am Montag aber nicht.

Dubiose Chats weckten Argwohn der Fahnder

Polizisten einer Spezialeinheit ermitteln in Banzkow in Mecklenburg-Vorpommern.
Polizisten einer Spezialeinheit ermitteln in Banzkow in Mecklenburg-Vorpommern. © dpa | Jens Büttner

Die Sicherheitsbehörden kamen den Männern über die Internet-Überwachung auf die Spur. In einer Chatgruppe hatten die Verdächtigen über die Flüchtlings- und Migrationspolitik gelästert, ja, sich regelrecht in Untergangsszenarien hineingesteigert: Die staatliche Ordnung bricht zusammen, die privaten und öffentlichen Haushalte sind pleite, allerorten nehmen Anschläge und Straftaten von Migranten zu. Das war das Szenario, bei dem die zwei Männer zur Tat schreiten wollten – und für das sie insgeheim auch schon längst Vorsorge getroffen hatten.

Sie besorgten sich – dem Vernehmen nach sogar legal – Waffen, schafften Munition beiseite, legten einen Vorrat an Lebensmitteln an und stellten eine Liste von Vertretern des politisch linken Spektrums zusammen. Diese Menschen wollten sie im Ernstfall erst festsetzen und anschließend töten.

Bisher gibt es nur einen Anfangsverdacht

Auf den Tag der Abrechnung wollte Generalbundesanwalt Frank wiederum nicht warten. Bereits Ende vergangener Woche ordnete ein Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs in Karlsruhe an, die sechs Wohnungen im Norden zu durchsuchen. Über das Wochenende wurden die letzten Einsatzdetails geklärt – am Montag schlug das Sondereinsatzkommando in Mecklenburg-Vorpommern zu.

Für einen Anfangsverdacht reichten die belastenden Hinweise allemal aus. Nun wird die Auswertung der Durchsuchungen ergeben, wie fortgeschritten die Planungen waren, ob es tatsächlich eine „Todesliste“ mit Namen linker Politiker gab oder ob man es in Mecklenburg-Vorpommern am Ende womöglich mit „Maulhelden“ zu tun hatte. Dass der Generalbundesanwalt die Ermittlungen aufnahm, zeigt, wie ernst er den Fall einschätzt. Indes, es ist nur ein Anfangsverdacht. Die Vorwürfe können sich auch im Laufe der Ermittlungen relativieren.

Weiterer Polizist unter Kontaktpersonen

Wie auch immer es in diesem Fall juristisch weitergeht – ob überhaupt Anklage erhoben wird oder ob es zu einem Urteil kommt –, zumindest für den Beamten der Polizeiinspektion Ludwigslust führt allein der Verdacht bereits zu disziplinarrechtlichen Maßnahmen. Demons­trativ versprach Innenminister Lorenz Caffier (CDU), die Generalbundesanwaltschaft zu unterstützen.

Insgesamt ging die Polizei gegen sechs Menschen in Mecklenburg-Vorpommern vor und durchsuchte genauso viele Räume. Es handelt sich überwiegend um Kontaktpersonen, die selbst nicht tatverdächtig sind. Aber pikant ist, dass darunter noch ein weiterer Polizeibeamter ist.

Verdächtige gehören zum rechtsextremen Spektrum

Laut „Ostsee-Zeitung“ handelt es sich bei dem Lokalpolitiker um einen 45 Jahre alten Vertreter des Wählerbündnisses Unabhängige Bürger für Rostock (UFR), dem auch Oberbürgermeister Roland Methling und seine Ehefrau angehören. Dem Bericht zufolge ist der Verdächtige Anwalt und sogar stellvertretender Chef der Stadtratsfraktion.

Die Polizei hat die Wohnungen sowie Arbeits- und Geschäftsräume der beiden Beschuldigten durchsucht. Die zwei Männer sind keine gesellschaftlichen Randfiguren, aber beide werden dem rechtsextremen Spektrum zugeordnet.

Wie akut ist die Gefahr des Rechtsterrorismus?

Nun werden die Fahnder im nächsten Schritt ermitteln, ob und wer ihnen geholfen hatte, wie sie Munition beiseiteschaffen konnten und wie viele Mitwisser es gab. Hatte der Politiker einen Waffenschein? Griff der Polizist auf Dienstwaffen zurück? Gibt es ein rechtes Netzwerk?

Die Linke in Mecklenburg-Vorpommern fühlt sich jedenfalls bestätigt. Für ihren innenpolitischen Sprecher im Schweriner Landtag, Peter Ritter, belegt der Fall, dass die Gefahr durch den Rechtsterrorismus im Nordosten akut ist. Bis zur letzten Wahl im Jahr 2016 saß die NPD sogar im Landtag.

Laut Verfassungsschutzbericht ist die rechtsextreme Szene gewachsen und hier im bundesweiten Vergleich überdurchschnittlich vertreten. Dem Bericht zufolge gibt es in Mecklenburg-Vorpommern 1450 Rechtsextremisten, darunter sollen immerhin 680 gewaltbereite Personen sein.