Barcelona/Berlin. Nach den Anschlägen von Barcelona und Cambrils konzentrieren sich Ermittlungen auf eine Kleinstadt: Viele Spuren führen nach Ripoll.

Bislang war das nordspanische Bergstädtchen vor allem für sein ehemaliges Benediktinerkloster bekannt – jetzt macht Ripoll als Brutstätte des islamistischen Terrors von sich reden: In der Kleinstadt 100 Kilometer nördlich von Barcelona ist nach Erkenntnissen der spanischen Sicherheitsbehörden jene Terrorzelle zu Hause, die für den Anschlag in Barcelona mit 13 Toten und den Angriff in der Küstenstadt Cambrils mit einer Toten verantwortlich ist. Unter den 13 verletzten Deutschen war am Samstag eine Frau noch in „einem extrem kritischen Zustand“.

Polizeisperren an den Straßen, schwer bewaffnete Sicherheitskräfte, Hausdurchsuchungen und immer wieder Befragungen von Einwohnern: Die Stadt, die als „Tor zu den Pyrenäen“ um Touristen wirbt, steht unter Schock.

Die Tatorte des Anschlags von Barcelona

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    Drei der vier unter Terrorverdacht Festgenommenen stammen aus Ripoll, auch drei der in Cambrils von der Polizei erschossenen Attentäter wohnten hier. Der 22-jährige Marokkaner Younes Abauyaaqoub, nach dem die Polizei jetzt als mutmaßlichem Fahrer des Tatfahrzeugs fahndet, stammt ebenfalls aus Ripoll. Auf dem Foto, das von ihm verbreitet wird, lächelt er.

    Imam aus Ripoll bei Explosion gestorben?

    In dem Haus in Alcanar soll der Imam von Ricoll bei der Explosion ums Leben gekommen sein. Mit DNA will die Polizei das nachweisen.
    In dem Haus in Alcanar soll der Imam von Ricoll bei der Explosion ums Leben gekommen sein. Mit DNA will die Polizei das nachweisen. © dpa | Tjerk Van Der Meulen

    Eine Schlüsselfigur ist offenbar auch ein Imam aus dem Bergstädtchen: Sicherheitskräfte durchkämmten am Sonnabendmorgen sein Haus in Ripoll, um nach DNA-Proben zu suchen. Der muslimische Geistliche soll der Tote sein, der nach einer Explosion in der mutmaßlichen Bombenwerkstatt der Dschihadistenzelle in Alcanar unter den Trümmern lag. Der Imam wurde am Dienstag zuletzt gesehen: „Er sagte, er wolle seine Frau in Marokko besuchen“, erzählte ein Nachbar.

    Die Sicherheitsbehörden in Spanien sind uneins, ob die Terrorzelle jetzt wirklich schon zerschlagen ist, mehrere Verdächtige sind schließlich auf der Flucht. Doch immer weniger Zweifel gibt es an der Regie der Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS): Er reklamierte die Angriffe in Spanien am Sonnabend für sich. Mehrere Glaubenskämpfer hätten sie in zwei Gruppen ausgeführt und „Kreuzfahrer“ ins Visier genommen, hieß es in einer Erklärung im Internet.

    Kein möglicher Beteiligter war als Islamist bekannt

    Der Eingang zur Wohnung, in der Imam Abdelbaki Es Satty zuletzt lebte. Er fahre nach Marokko, hatte er erklärt. Und ist verschwunden.
    Der Eingang zur Wohnung, in der Imam Abdelbaki Es Satty zuletzt lebte. Er fahre nach Marokko, hatte er erklärt. Und ist verschwunden. © REUTERS | SUSANA VERA

    Noch sind die Hintergründe unklar, aber einiges spricht dafür, dass Imam Abdelbaki Es Satty aus Ripoll eine wichtige Rolle spielte. Er dürfte, so wird jetzt in der Stadt vermutet, die Radikalisierung der Gruppe junger Männer mit marokkanischem Hintergrund vorangetrieben haben. Die Zelle aus bislang zwölf Verdächtigen soll sich sehr schnell und damit unbemerkt gebildet haben, keiner der Beteiligten galt der Polizei als gefährlicher Islamist.

    Die Gruppe verfügte nach Erkenntnissen der Ermittler weder über größere Geldmittel noch über Erfahrungen im Terrorkampf. Allerdings hätten sie sehr genau gewusst, wie sie sich der intensiven Polizeifahndung entziehen.

    Bürgermeister: „Das sind normale Familien“

    „Wir sind alle überrascht, das waren ganz normale Familien“, erzählt Bürgermeister Jordi Munell. Die marokkanischen Brüder Moussa und Driss Oukabir etwa, die mit ihren Eltern nach Spanien einwanderten, hätten seit vielen Jahren in Ripoll gelebt. „Nie gab es Probleme“, versichert der Bürgermeister. Sie seien hier zur Schule gegangen, hätten Fußball gespielt – und schienen integriert zu sein, auch wenn der Vater die Familie verließ und nach Marokko zurückkehrte.

    "...alle Ungläubigen töten...": Eine Antwort von Moussa Oukabir auf die Frage, was er als Herrscher der Welt tun würde. © Kiwi/Screenshot FMG | Kiwi/Screenshot FMG

    Jetzt ist der 17-jährige Moussa tot, in Cambrils erschossen auf dem Weg zu einem Terroranschlag. Sein 27-jähriger Bruder sitzt im Gefängnis. Moussa Oukabir gab allerdings schon vor zwei Jahren in einem Chat in dem Netzwerk Kiwi eine beunruhigende Antwort auf die Frage, was er tun würde, wenn er Herrscher der Welt wäre: „Alle Treulosen töten, nur diejenigen Muslime verschonen, die der Religion folgen.“ Auf der gleichen Plattform antwortete er auf die Frage, welche Sprache er gerne lernen würde: „Deutsch“.

    Einwohner berichten von Wesensänderung

    Einwohner erzählen Reportern auch, dass die jungen Leute sich zuletzt verändert hätten, religiöser und weniger gesellig gewesen seien. Im Umfeld der Islamisten sei immer wieder ein Mann beobachtet worden, der in einem Pkw mit französischen Kennzeichen stundenlang telefonierte. Das abgelegene Provinzstädtchen, idyllisch zwischen grünen Hügeln und Wäldern gelegen, war wohl ein idealer Ort, um sich unbehelligt von Polizeifahndern zu radikalisieren.

    In diesem Haus in Ricoll lebte Moussa Oukabir, einer der Hauptverdächtigen.
    In diesem Haus in Ricoll lebte Moussa Oukabir, einer der Hauptverdächtigen. © dpa | Francisco Seco

    Katalonien, wo die Terroristen nun zuschlugen, gilt schon länger als ein Brennpunkt des Islamismus. In der Region, die sich von Spanien abspalten will, wurden seit Jahresbeginn 14 terrorverdächtige Islamisten festgenommen. Spanien ist seit Jahren wichtiges Operationsgebiet islamistischer Terroristen – das Land, in dem vor 800 Jahren schon einmal Muslime herrschten, wollte der IS ursprünglich bis 2020 unter seine Herrschaft bekommen.

    Einige Razzien in Katalonien

    In keinem anderen Landesteil Spaniens aber gab es in den letzten Monaten so viele Razzien gegen die Szene wie in Katalonien. Brennpunkt ist der Großraum Barcelona. Dort wurden im Frühjahr neun mutmaßliche Dschihadisten marokkanischer Abstammung festgenommen, die in Verbindung zu den Anschlägen in Brüssel 2016 stehen sollen.

    Die Einwandererszene ist stark in Katalonien, nahezu 15 Prozent der Bevölkerung haben einen ausländischen Pass. Der Einwanderungsboom wurde in den letzten Jahrzehnten durch den Arbeitskräftebedarf der Industrie und Landwirtschaft angefacht. Gekommen sind vor allem Marokkaner. Die meisten islamistischen Extremisten, die in der Region in den letzten Jahren festgenommen wurden, stammen aus der marokkanischen Immigrationsszene. Oft sind es in Spanien geborene junge Menschen.

    Terroranschlag mit Van in Barcelona

    Ein Lieferwagen hat am Donnerstag im Zentrum Barcelonas (Spanien) mehrere Menschen gezielt überfahren. Kurz danach rückte die Polizei zu einem Einsatz in Cambrils aus. Wir zeigen Bilder.
    Ein Lieferwagen hat am Donnerstag im Zentrum Barcelonas (Spanien) mehrere Menschen gezielt überfahren. Kurz danach rückte die Polizei zu einem Einsatz in Cambrils aus. Wir zeigen Bilder. © dpa | Pawi Lerma
    Viele Menschen wurden getötet und verletzt.
    Viele Menschen wurden getötet und verletzt. © dpa | Oriol Duran
    Rettungskräfte im Einsatz.
    Rettungskräfte im Einsatz. © Getty Images | Nicolas Carvalho Ochoa
    Die Polizei sperrte den Bereich um den Anschlagsort großräumig ab.
    Die Polizei sperrte den Bereich um den Anschlagsort großräumig ab. © dpa | Manu Fernandez
    Passanten wurden aufgefordert, ...
    Passanten wurden aufgefordert, ... © dpa | Manu Fernandez
    ... , die Gegend zu verlassen.
    ... , die Gegend zu verlassen. © dpa | Manu Fernandez
    Die Polizei brachte nach dem Anschlag die Menschen in Sicherheit, die sich nahe am Tatort befanden.
    Die Polizei brachte nach dem Anschlag die Menschen in Sicherheit, die sich nahe am Tatort befanden. © REUTERS | STRINGER
    Am Ort des Anschlags versorgten Sanitäter Verletzte.
    Am Ort des Anschlags versorgten Sanitäter Verletzte. © dpa | Oriol Duran
    Las Ramblas ist eine bekannte Flanier- und Einkaufsmeile in Barcelona.
    Las Ramblas ist eine bekannte Flanier- und Einkaufsmeile in Barcelona. © dpa | Manu Fernandez
    Dort halten sich üblicherweise zahlreiche Touristen auf.
    Dort halten sich üblicherweise zahlreiche Touristen auf. © dpa | Manu Fernandez
    Die Menschen in der Gegend von Las Ramblas waren während der Geschehnisse von der Polizei aufgefordert worden, sich nicht von der Stelle zu bewegen.
    Die Menschen in der Gegend von Las Ramblas waren während der Geschehnisse von der Polizei aufgefordert worden, sich nicht von der Stelle zu bewegen. © REUTERS | STRINGER
    Polizeikräfte stehen vor dem weißen Lieferwagen. Die IS-Terrormiliz reklamierte das Attentat für sich.
    Polizeikräfte stehen vor dem weißen Lieferwagen. Die IS-Terrormiliz reklamierte das Attentat für sich. © David Ramos
    Nach Berichten von spanischen Medien war der weiße Lieferwagen, der für den Anschlag benutzt wurde, ein Mietfahrzeug.
    Nach Berichten von spanischen Medien war der weiße Lieferwagen, der für den Anschlag benutzt wurde, ein Mietfahrzeug. © REUTERS | SERGIO PEREZ
    Auch in der Nacht setzte die Spurensicherung ihre Arbeit an dem Schauplatz des Anschlags fort.
    Auch in der Nacht setzte die Spurensicherung ihre Arbeit an dem Schauplatz des Anschlags fort. © REUTERS | SERGIO PEREZ
    Wenige Stunden nach dem Terroranschlag in Barcelona tötete die Polizei in einem Küstenort in Katalonien fünf mutmaßliche Attentäter. Die Täter sollen eine ähnliche Tat wie in Barcelona geplant haben und trugen auch Sprengstoffgürtel.
    Wenige Stunden nach dem Terroranschlag in Barcelona tötete die Polizei in einem Küstenort in Katalonien fünf mutmaßliche Attentäter. Die Täter sollen eine ähnliche Tat wie in Barcelona geplant haben und trugen auch Sprengstoffgürtel. © REUTERS | REUTERS TV
    Bereits am Mittwoch gab es eine Explosion in einem Wohnhaus in dem Ort Alcanar. Bei der Gasexplosion in der Provinz Tarragona etwa 200 Kilometer südlich von Barcelona seien ein Mensch getötet und sieben weitere verletzt worden, erklärte der katalanische Polizeichef Josep Lluís Trapero. Es gebe „klare“ Verbindungen zu dem Anschlag in Barcelona.
    Bereits am Mittwoch gab es eine Explosion in einem Wohnhaus in dem Ort Alcanar. Bei der Gasexplosion in der Provinz Tarragona etwa 200 Kilometer südlich von Barcelona seien ein Mensch getötet und sieben weitere verletzt worden, erklärte der katalanische Polizeichef Josep Lluís Trapero. Es gebe „klare“ Verbindungen zu dem Anschlag in Barcelona. © dpa | Bombers De La Generalitat
    Die Vorkommnisse in Spanien haben auch in anderen Ländern wie den USA die Sorge vor erneuten Terroranschlägen vergrößert. Hier stehen Angehörige der Antiterroreinheit der New Yorker Polizei schwerbewaffnet auf dem Time Square in New York.
    Die Vorkommnisse in Spanien haben auch in anderen Ländern wie den USA die Sorge vor erneuten Terroranschlägen vergrößert. Hier stehen Angehörige der Antiterroreinheit der New Yorker Polizei schwerbewaffnet auf dem Time Square in New York. © dpa | Michael Noble Jr.
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    Katalonien ist auch die Region Spaniens mit dem größten Anteil muslimischer Bürger, die hier sieben Prozent der Bevölkerung ausmachen – in ganz Spanien sind es etwa vier Prozent. Fast jedes Dorf in Katalonien hat wenigstens eine Moschee. Rund 80 davon stehen unter Beobachtung der Sicherheitsbehörden: Es besteht der Verdacht, dass dort Hassbotschaften verbreitet werden.