Mossul. Die Terrormiliz IS wurde aus der irakischen Metropole Mossul vertrieben. Die Zerstörungen sind immens – und die Zukunft ist unsicher.

Auf der „Garagen-Straße“ im Herzen Mossuls herrscht der übliche nahöstliche Wahnsinn. Autos Stoßstange an Stoßstange, Hupkonzerte, auf den Kreuzungen Verkehrspolizisten, die irgendwie versuchen, das Chaos zu bändigen. Kinder klopfen an die Scheiben und versuchen, den Autofahrern Wasserflaschen zu verkaufen. Die Verkaufsstände entlang der Straße sind prall gefüllt, es gibt wieder Bananen, Melonen, Fisch. Im Osten der nordirakischen Metropole pulsiert das Leben. Im Westen, auf der anderen Seite des Tigris, ist nur Tod und Zerstörung.

Der „Islamische Staat“, der die Stadt fast drei Jahre lang im Würgegriff hielt, ist im Osten auf den ersten Blick nur noch eine böse Erinnerung. Die Schulen sind wieder geöffnet, selbst in der weitgehend zerstörten Universität werden wieder Studenten unterrichtet. Einzig die schwer bewaffneten Soldaten, die überall patrouillieren, lassen erahnen, dass die Gefahren noch nicht gebannt sind. Im Januar vertrieben irakische Truppen die Dschihadisten nach monatelangen Gefechten aus diesem Teil der Stadt.

Kampf gegen Dschihadisten

Jetzt tragen die Frauen bunte Kopftücher. Männer rauchen auf der Straße. Als zur Mittagszeit der Gebetsruf ertönt, bleiben die Geschäfte geöffnet, kaum jemand folgt dem Ruf des Muezzins. All das war verboten unter der Herrschaft der Fanatiker, die Mossul im Juni 2014 überrannten. Die „Garagen-Straße“ ist gesäumt mit den Bildern der Märtyrer, der Soldaten und Bundespolizisten, die im Kampf gegen die Dschihadisten ihr Leben ließen.

Vor Ort in Mossul: Eine Fahrt durch die vom Krieg zerstörte Stadt

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    Auf zahlreichen Plakaten wird ihr Mut gepriesen, immer wieder ist auch das Wahrzeichen der Stadt abgebildet, das schiefe Al-Hadba-Minarett der großen Moschee am Rande der Altstadt drüben im Westen. Es existiert nicht mehr. Die Dschihadisten haben es Mitte Juni gesprengt und mit ihm die Al-Nuri-Moschee aus dem 12. Jahrhundert, in der ihr Führer Abu Bakr al-Bagdadi am 4. Juli 2014 in seinem einzigen öffentlichen Auftritt das Terrorkalifat ausrief, das jetzt zerfällt.

    Industriegebiet zermalmt

    Im Osten der Stadt sind von den Kämpfen nur vereinzelt Spuren zu sehen. Einige Gebäude liegen in Trümmern, besonders schwer hat es die Universität erwischt, um die erbitterte Gefechte tobten. Die Hölle liegt auf der anderen Seite des Flusses. Der Westen der Stadt ist in einem Ausmaß zerstört, für das das Wort „apokalyptisch“ eine treffende Bezeichnung ist. Die Luftangriffe der US-geführten Koalition, der Artilleriebeschuss der irakischen Armee, die Selbstmordattentate der Dschihadisten haben ganze Stadtteile und das Industriegebiet zermalmt.

    Die historische Altstadt mit ihren engen Gassen und Straßen, das letzte Rückzugsgebiet der Fanatiker, das von der irakischen Armee in blutigen Häuserkämpfen erobert werden musste, ist ausradiert. Unter den Schuttbergen werden noch Hunderte Tote vermutet. Zigtausend Menschen sind im Westen bei der Schlacht ums Leben gekommen, die im Februar begann.

    Durch Luftschläge zerstört

    Von Ost-Mossul aus führen nur zwei provisorische Pontonbrücken über den Tigris in den Westen, die fünf alten Brücken wurden gezielt durch Luftschläge zerstört. Hinter dem Nineveh-Hotel kontrolliert eine Einheit der irakischen Armee einen dieser Übergänge. Ab und an rumpeln Lastwagen aus dem Westen über die Brücke, die Ladefläche vollgepackt mit Männern. „Wir holen immer noch Leute aus dem Westteil der Stadt heraus“, berichtet ihr Kommandeur Jafer Taklef, ein junger, schmaler Hauptmann, der aus Samarra nahe Bagdad stammt.

    Die Männer werden überprüft, sie wollen hier verhindern, dass sich Kämpfer des IS unter die Flüchtlinge mischen. Zehn bis 20 Verdächtige werden jeden Tag ausgesiebt, sagt Taklef, alles Einheimische. „Die Ausländer haben bis zum Tod gekämpft.“ Was mit den Familien der IS-Kämpfer passieren soll, ist noch völlig unklar. Es gibt Überlegungen, sie in Camps weit ab von der normalen Bevölkerung zu isolieren.

    Verzweigtes Tunnelsystem

    Vor wenigen Tagen hat der irakische Premier Haider al-Abadi die Schlacht um Mossul für beendet erklärt. Immer wieder hallt aber von der anderen Flussseite Gewehrfeuer herüber. Versprengte Dschihadisten verstecken sich in den weit verzweigten Tunnelsystemen, die der IS in den vergangenen Jahren angelegt hat, und führen Überraschungsangriffe in den befreiten Stadtteilen durch. Es sind Verzweiflungstaten von Menschen, die dem Tod geweiht sind. Sicherheit gibt es in West-Mossul nicht. Vor Kurzem sprengte sich hier die Frau eines IS-Kämpfers in die Luft. Sie trug ihr Kind auf ihrem Arm.

    Weit mehr als eine Million Menschen lebten einmal im Westen der Stadt. Einige Zehntausend harren jetzt noch in der Trümmerwüste aus. Vereinzelt schlurfen Familien über die Brücke in den Westen, um zu schauen, was von ihren Häusern geblieben ist. Dauerhaft bleiben ist aber schwierig, es gibt kaum Nahrung, kein Wasser, keinen Strom. Wer kann, der geht in den Osten, zu Verwandten oder in eines der Flüchtlingscamps an der Peripherie, in der Hunderttausende in der Gluthitze des irakischen Sommers ausharren müssen.

    Lebensfeindliches Terrorregime

    Mohammed ist gerade mit seiner kleinen Familie an dem Checkpoint am Tigrisufer angekommen. Sein Sohn Anas hat sich den Arm gebrochen, im Westen existiert kein funktionstüchtiges Krankenhaus in erreichbarer Nähe. Der Kleine weint vor Schmerzen. Seine Mutter Hanouf versucht ihn zu trösten. Sie ist hochschwanger. Mohammed und Hanouf erzählen von der Zeit unter dem IS, dem lebensfeindlichen Terrorregime. Hanoufs Gesicht ist unverschleiert, sie ist stark geschminkt, spricht mit einem fremden Mann. „Dafür wären wir beide früher bestraft worden“, sagt Mohammed.

    Hanouf spricht Englisch, sie hat an der Universität von Mossul Wirtschaftswissenschaften studiert, bevor die Dschihadisten kamen. „Daesh hat Frauen nur erlaubt, als Krankenschwestern oder Lehrerinnen zu arbeiten“, schimpft sie; sie benutzt den arabischen Ausdruck für den IS. Das junge Paar weiß noch nicht, wie es jetzt weitergeht. „Eigentlich würden wir gern das Land verlassen“, sagt Mohammed, „es wird hier keinen Frieden geben.“ Noch immer, erzählen sie, gäbe es viele Menschen in Mossul, die den IS unterstützen. Auch der Osten sei nicht sicher, hätten sie gehört. Tatsächlich brodelt es unter der Oberfläche. Während des Fastenmonats Ramadan gab es blutige Anschläge.

    Viele Entführungen

    „Der Ostteil der Stadt ist voller Schläferzellen von Daesh“, sagt Gülistan Sheikh Hassan. Die zierliche, energische Frau ist Mitglied des Rates der Provinz Nineveh, zu der neben Mossul auch die jesidischen Siedlungsgebiete nördlich von Mossul und die christlichen östlich der Stadt gehören. Immer wieder würden Menschen bedroht, die mit den Sicherheitskräften zusammenarbeiteten, es gebe viele Entführungen, auch gezielte Tötungen. „Es hängen immer noch sehr viele Menschen in Mossul der Ideologie von Daesh an.“

    Das Verhalten der Eroberer der Stadt heizt die Konflikte an. An vielen Checkpoints der irakischen Armee flattern schiitische Fahnen, für die mehrheitlich sunnitischen Bewohner ist das eine Provokation. Der IS konnte die Stadt im Sommer 2014 auch deshalb so schnell einnehmen, weil sich die Sunniten im Irak seit dem Sturz des früheren Machthabers Saddam Hussein von der schiitischen Regierung in Bagdad unterdrückt fühlten. Die Dschihadisten wurden von vielen Menschen in Mossul als Befreier begrüßt. „Jetzt haben viele das Gefühl, wieder unter einer Besatzung zu leben“, sagt Gülistan Sheikh Hassan.

    Religiöse Minderheit

    Es gibt zahlreiche Berichte von Gräueltaten irakischer Soldaten und Bundespolizisten, von Folterungen, Vergewaltigungen, Hinrichtungen. Im Westen der Stadt wurden gefangene IS-Kämpfer auf offener Straße enthauptet. Im Norden Mossuls und im Südosten stehen schiitische Milizen der Haschd al-Schaabi, der Volksmobilisierungseinheiten, die ähnlich fanatisch wie die IS-Kämpfer sind. „Diese Leute müssen gehen, sie müssen die Sicherheitsverantwortung an lokale Kräfte abgeben, alles andere wird die Bevölkerung nicht akzeptieren“, mahnt die Politikerin, die selbst Jesidin ist, Angehörige der religiösen Minderheit, die vom IS besonders brutal verfolgt wurde.

    Wann Mossul wieder aufgebaut sein wird? Gülistan Sheikh Hassan ist skeptisch. „Ich glaube, dass Bagdad überhaupt kein Interesse daran hat, dass Mossul wieder groß und stark wird.“ Und noch ist der IS in der Region nicht komplett besiegt. Mit Tal Afar im Norden Mossuls und mit Hawdischa im Südwesten hält er noch zwei Städte und zahlreiche Dörfer in der Umgebung. Hunderttausende Menschen leben dort. Die Rückeroberung soll von den schiitischen Milizen angeführt werden. Sie könnte zu einem Gemetzel ausarten.