Berlin. Kindererziehung, Teilzeitjobs und geringere Löhne werden vor allem Frauen Ende 40 beim Renteneintritt in finanzielle Not bringen.

Was wird mit der Generation der sogenannten Babyboomer nicht alles verbunden: Hohe Einkommen, Einfluss in Politik und Wirtschaft, Kaufkraft. Nun zeigt eine Studie der renommierten Bertelsmann-Stiftung eine andere Seite dieser Generation. Rund 20 Prozent derer, die heute Ende Vierzig sind, sind demnach bei Renteneintritt von Armut bedroht. Das heißt, jeder Fünfte, der zwischen 2031 und 2036 in Rente geht, muss statistisch im Alter deutlich kürzertreten. Im Jahr 2015 waren noch 16 Prozent der Neurentner armutsgefährdet. Eine Zusammenstellung der wichtigsten Fragen und Antworten:

Was ist eigentlich Altersarmut?

Rentner gelten als armutsgefährdet, wenn ihr Netto-Einkommen unter 958 Euro im Monat liegt. Nach dem aktuellen „Altersicherungsbericht“ der Bundesregierung liegt das durchschnittliche Haushaltsnettoeinkommen von älteren Ehepaaren derzeit bei 2543 Euro, das von alleinstehenden Männern bei 1614 Euro. Alleinstehende Frauen haben mit 1420 Euro schon heute ein im Durchschnitt geringeres Einkommen.

Was sind die Ursachen?

Mehrere Jobwechsel und Phasen der Arbeitslosigkeit, Leiharbeit, befristete Verträge, dazu niedrige Löhne – das gehört für immer mehr Arbeitnehmer zum Alltag. Nach Ansicht der Studien-Autoren sind diese Faktoren die Hauptgründe für die wachsende Altersarmut.

Außerdem sinkt das Rentenniveau durch die demografische Entwicklung. Das heißt, immer weniger junge Menschen in sozialversicherungspflichtigen Jobs müssen für mehr ältere Menschen aufkommen.

Auch wurde durch Reformen das Niveau in der gesetzlichen Rente nach und nach abgesenkt. Für Ausgleich sorgen sollten Instrumente der privaten Vorsorge mit staatlicher Förderung, etwa die Riester-Rente. Doch der erhoffte Effekt „könnte durch anhaltend niedrige Zinsen und eine niedrige Verbreitung unter Geringverdienern eingeschränkt werden“, befürchten die Forscher.

Wen trifft es besonders?

Auch im Rentensystem trifft es zumeist die sozial Schwächeren. Vor allem Frauen, insbesondere alleinstehende Frauen. Laut Studie steigt der Anteil der Singlefrauen, die von staatlichen Leistungen abhängig werden, weil ihr Einkommen nicht fürs Leben reicht, von heute 16 auf nahezu 28 Prozent im Jahr 2036 an.

Warum? Frauen treten oft für die Erziehung der Kinder beruflich kürzer, haben lange Phasen ohne Erwerbstätigkeit oder Teilzeitstellen. Zwar werden auch diese Erziehungszeiten in der Rentenberechnung gewertet, sind aber nicht vergleichbar mit einem Vollzeitjob.

Betroffen von Altersarmut sind außerdem Menschen ohne Berufsausbildung, Langzeitarbeitslose und Menschen mit Migrationshintergrund. Laut der Prognosen könnten bis zum Jahr 2036 sieben Prozent der Neurentner komplett auf staatliche Unterstützung angewiesen sein, hieß es. 2015 waren es noch 5,4 Prozent.

Aber auch die Rentner in Ostdeutschland werden schlechter dastehen als heute – und zwar aus demografischen wie auch aus ökonomischen Gründen. „Für Haushalte in Ostdeutschland steigt das Armutsrisiko stark an“, heißt es in der Studie. Bis in die Jahre 2031 bis 2036 wird sich das Risiko, vom Staat abhängig zu werden, für Neurentner in Ostdeutschland im Vergleich zu Westdeutschland fast verdoppeln und dann bei 36 Prozent liegen. Der Grund: In den 1990er- und frühen 2000er-Jahren gab es in den neuen Bundesländern zeitweise eine hohe Arbeitslosigkeit.

Wie kann der Entwicklung entgegengewirkt werden?

Der beste Schutz vor Altersarmut sind sozialversicherungspflichtige und fair bezahlte Jobs. Doch den Menschen, die diese jahrelang nicht hatten, hilft diese Erkenntnis wenig. Deshalb müsste die Politik zielgenaue Lösungen für Risikogruppen finden, fordern die Forscher. „Wir brauchen weitere Reformen für den Ruhestand: Wenn die Babyboomer-Generation in Rente geht, könnte es zu einem bösen Erwachen kommen. Um das Alterssicherungssystem zukunftsfest zu gestalten, müssen wir es heute an die veränderten Rahmenbedingungen der Arbeitswelt anpassen“, sagt Aart De Geus, Vorstandsvorsitzender der Bertelsmann Stiftung.

Die Wissenschaftler haben auch berechnet, wie sich viele der aktuellen Reformen wie etwa die Reform der Erwerbsminderungsrente oder die Pflicht zur betrieblichen Altersvorsorge auswirken würden. Das ernüchternde Ergebnis: Auch sie können den Trend nicht stoppen. Denn die Risikogruppen würden „in der aktuellen Reformdebatte zu wenig durch die Vorschläge adressiert“, schreiben die Forscher. Sprich: Die Politik zielt an den Bedürftigen vorbei. Christof Schiller, Autor der Studie, fordert nachdrücklich eine bessere Inte­gration der Risikogruppen in den Arbeitsmarkt.

Was tut die Politik gegen Altersarmut?

Es gibt gerade in dieser Legislaturperiode eine Reihe von Maßnahmen gegen die Altersarmut. Etwa die Mütterrente oder die Anhebung der Renten. Doch diese Reformen haben ihren Preis. Wie die Deutsche Rentenversicherung Bund just am Montag mitteilte, hat die Rentenkasse aktuell ein Minus von 2,2 Milliarden Euro eingefahren. Die Rentenversicherung führt die Entwicklung unter anderem auf die Kosten etwa der Mütterrente zurück. Auch die Rentenerhöhung 2016 schlage zu Buche.

Doch noch gibt es auch Anlass zur Entwarnung. Die Einnahmen aus Pflichtbeiträgen sind 2016 um mehr als vier Prozent gestiegen. Eine Folge der guten Konjunktur – und in der Debatte um eine grundlegende Rentenreform willkommen, sieht doch zum Beispiel die Union keinen Anlass zu einer gründlichen Überarbeitung des Rentensystems. Doch die Studie zeige, in welche Schieflage die große Koalition das Rentensystem durch teure Mütterrente und Rente ab 63 manövriert habe, kritisiert die grüne Spitzenkandidatin Katrin Göring-Eckardt. „Es zeugt auch von den eingestaubten Geschlechterbildern von Union und SPD, in der die Herausforderungen und Hürden, vor denen Frauen am Arbeitsmarkt stehen, kaum berücksichtigt werden“, sagte sie unserer Redaktion.

Welche Ideen gibt es noch?

Die Diakonie Deutschland etwa fordert eine Mindestrente, die lediglich 30 Beitragsjahre voraussetzt und höher sein soll als die Grundsicherung. Dazu sollen bis zu zehn Jahre an Kindererziehungs- oder Pflegezeiten angerechnet werden. Jahrelange Erwerbsarbeit dürfe nicht der einzige Maßstab für ein Leben in Würde sein.

• Kommentar: Mit fairen Löhnen für Frauen der Altersarmut vorbeugen