Berlin. Der frühere US-Präsident Obama und Bundeskanzlerin Merkel sprechen beim Evangelischen Kirchentag in Berlin über Moral in der Politik.

Er wird also immer noch gefeiert. Barack Obama ist seit vier Monaten nicht mehr US-Präsident, doch hier im Herzen Berlins jubeln ihm die Menschen zu wie früher. „First of all: Guten Tag“, begrüßt Obama halb auf Deutsch die rund 80.000 Zuschauer, die dicht gedrängt vor der Bühne am Brandenburger Tor stehen. „Ich liebe nicht nur diese Stadt“, erklärt der 55-Jährige und blickt zu Bundeskanzlerin Angela Merkel, die er vorher zum Frühstück getroffen hat und die jetzt neben ihm auf dem Podium beim Evangelischen Kirchentag sitzt.

Merkel sei eine der „liebsten Partnerinnen meiner Präsidentschaft“, säuselt er, sie leiste „hervorragende Arbeit in Deutschland und der ganzen Welt“. Es klingt alles ganz vertraut, auch die politischen Liebeserklärungen, doch dann wird sehr schnell klar, wie sehr sich die Zeiten geändert haben: Obama treiben die abrupten Kurswechsel seines Nachfolgers Donald Trump um, er sieht die Weltordnung „am Scheideweg“. Er sei „sehr stolz“ auf seine Arbeit als Präsident, betont er, besonders auf seine Gesundheitsreform „Obamacare“.

Obama grenzt sich von Trump ab

Trump will sie zurückdrehen, Obama warnt jetzt, die Reform sei „insgesamt bedroht“, obwohl sie schon 20 Millionen Menschen in den USA eine bessere Gesundheitsversorgung verschafft habe. Auch seine Appelle für Freiheitsrechte und diplomatische Konfliktlösungen klingen wie eine Abgrenzung von Trump – den er namentlich nicht einmal erwähnt.

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    Das Wichtigste sei, die Strömungen gegen Menschenrechte, Demokratie und Freiheit zurückzudrängen und sich hinter diese Werte zu stellen, erklärt Obama. Die Kompromisslosigkeit in Glaubensfragen dürfe nicht auf die Politik übertragen werden. Immer wieder brandet Beifall auf. Der Auftritt von Obama ist der Höhepunkt der 2500 Veranstaltungen des Kirchentags, der im Zeichen des Reformationsjubiläums steht. Das fünftägige Treffen war am Mittwoch eröffnet worden, mehr als 100.000 Dauerteilnehmer sind in der Hauptstadt.

    Diskussion über Engagement in der Demokratie

    Trotz der strengen Sicherheitsvorkehrungen ist die Stimmung fröhlich und entspannt. Auch Obama, der nun schon zum achten Mal Deutschland besucht, gibt sich locker. Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Heinrich Bedford-Strohm, hatte ihn zu der Diskussionsrunde über Engagement in der Demokratie eingeladen. Jetzt darf der Gast erstmal erzählen, was er so macht als Ex-Präsident.

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      Man kennt die Bilder vom Surf- und Segelurlaub in der Südsee, Obama fasst sich kurz: „Ich habe versucht, endlich mal auszuschlafen“, sagt er. Er wolle ein guter Ehemann für seine Frau Michelle sein – und mehr Zeit mit seinen Töchtern verbringen, auch wenn er für die beiden Teenager „nicht mehr der interessanteste Gesprächspartner“ sei, wie er fröhlich anmerkt. Bald wird Obama aber auch mit unangenehmen Fragen konfrontiert.

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        SPD: Kirchentag leiste Wahlkampfhilfe für die Kanzlerin

        Es hatte im Vorfeld Kritik an der Einladung des Ex-Präsidenten gegeben, die SPD sah im Doppelauftritt mit Merkel eine Wahlkampfhilfe für die Kanzlerin. Jetzt muss sich Obama für die hohen US-Militärausgaben und die starke Zunahme der US-Drohnenangriffe während seiner Amtszeit verteidigen. „Manchmal haben meine Entscheidungen zum Tod von Zivilisten geführt, weil es Fehler gab. Aber es gab keine anderen Wege, um an Terroristen zu kommen“, versichert Obama.

        Das Problem seien nicht die Drohnen, sondern der Krieg. Dann zeigt er in die Menschenmenge: „Es geht um Leute, die bei dieser Veranstaltung gern eine Bombe zünden würden.“ Obama bekennt sich zum Zwiespalt eines strenggläubigen Christen in Regierungsverantwortung: Trotz des eigenen moralischen Anspruches müsse eine Regierung oft zwischen problematischen Optionen wählen.

        Merkel reist weiter zum Nato-Gipfel

        Das Dilemma berührt auch Merkel. Sie verteidigt in der Diskussion die Abschiebung von abgelehnten Flüchtlingen etwa nach Afghanistan, die in Kirchenkreisen auf Ablehnung stößt. Angesichts vieler Flüchtlinge ohne Bleiberecht gelte es, schnell Asyl-Entscheidungen zu treffen und jene, die nicht bleiben könnten, zügig nach Hause zu schicken. Obama springt Merkel bei: Ein Regierungschef müsse zwar Barmherzigkeit zeigen, aber es gebe auch eine Verpflichtung gegenüber der eigenen Bevölkerung. „Das ist nicht immer einfach“, sagt er.

        Doch der Ex-Präsident verbreitet auch Zuversicht: „Trotz all der Tragödien, die wir täglich sehen – nie war die Welt gesünder, wohlhabender und besser gebildet als heute.“ Dann sind die 90 Minuten auch schon um, Obama muss weiter. Und auch Merkel hat es eilig. Für sie geht es nach Brüssel zum Nato-Treffen mit den Staats- und Regierungschefs und zu einer Begegnung auch mit US-Präsident Donald Trump. So nett wie mit seinem Vorgänger wird das nicht.