Brüssel. In Frankreich wird am Sonntag nicht nur ein neuer Präsident gewählt. Dabei entscheiden die Wähler auch über Gedeih oder Verderb der EU.

Dies ist das große Ding. Es geht ums Ganze, nicht nur für Frankreich, sondern auch für Europa. Wenn die Franzosen über ihr künftiges Staatsoberhaupt abstimmen, entscheiden sie zugleich über Gedeih oder Verderb der Europäischen Union. Im Kreuzzug der Nationalisten und Populisten gegen das, was sie unter dem Feindesnamen „Brüssel“ bekämpfen, ist dies die Mutter aller Schlachten.

Das historische Werk des friedlichen Zusammenschlusses der Völker des Kontinents kann nur vorangetrieben werden, wenn Frankreich weiter mitmacht. Und mitmachen muss die politische Führung in Paris ebenso wie die Mehrheit der Bürger.

Doch zwei der vier Kandidaten, die nach den Umfragen eine Chance auf den Einzug in den Élysée-Palast haben, sind nicht an Mitwirkung interessiert, sondern auf Zerstörung erpicht. Marine Le Pen und Jean-Luc Mélenchon stützen ihre Bewerbung um das höchste Amt im Staate auf das Versprechen, die EU auf dem Misthaufen der Geschichte zu entsorgen. Wie ernst muss Europa die Drohung nehmen?

In Österreich haben es Nationalisten nicht an die Macht geschafft

Der Blick auf das internationale Umfeld bietet Grund zu verhaltener Zuversicht. Europas Populisten haben die beiden Donnerschläge Brexit-Referendum und Trump-Wahl bejubelt, ohne daraus eine nachhaltige Dynamik zu ihren Gunsten machen zu können. Die Österreicher widerstanden der Versuchung, einen Nationalisten an die Staatsspitze zu berufen.

In den Niederlanden hat es die etablierten Parteien bei den Parlamentswahlen mächtig durchgeschüttelt, aber der Rechtsausleger Geert Wilders blieb weiter ohne Aussicht auf Verwirklichung seiner fremdenfeindlichen Verheißungen.

Das gescheiterte italienische Verfassungsreferendum im Dezember – krachende Niederlage des chaotisch-europafreundlichen Ex-Premiers Renzi – scheint ein Ausreißer zu sein. Doch Renzi hat die Volksbefragung in erster Linie durch kapitale taktische Fehler vergeigt. Der Ausgang des Referendums hat den EU-Verächtern keinen nennenswerten Schub verschafft.

Auch im Vorblick auf die Bundestagswahl gibt es nach derzeitigem Stand keinen Grund zur Panik: Die AfD ist dabei, mit Personalgezänk und der ewigen Rätselfrage, ob und wo rechts eine Grenze des Erlaubten sei, ihre Anhängerschaft zu schrumpfen. Dass sich in jüngster Zeit eine vordem schweigende proeuropäische Öffentlichkeit auf den Straßen meldet, ist ein weiteres ermutigendes Zeichen.

Die Wahlrunden könnten die Wähler zur Vernunft bringen

Leider reicht das alles nicht, die Wahlen in Frankreich tiefenentspannt verfolgen zu können. Europa-Politiker in Brüssel und den Hauptstädten setzen beschwörend auf „die republikanische Vernunft“ der Franzosen beim Umgang mit dem Zweirunden-Wahlrecht, das eine Sicherheitszone vor dem Abgrund sei. Das mag die Wahrscheinlichkeit eines Irrsinns-Votums à la Trump oder Brexit reduzieren. Das Risiko beseitigt es nicht.

Dafür sorgt schon die hohe Zahl (rund ein Drittel) Wahlberechtigter, die kurz vor Ultimo nicht wissen, für wen sie ihr Kreuzchen machen sollen. Oder ob sie überhaupt wählen wollen. Dafür sorgt aber vor allem die Schwäche des Aufgebots der Europa-Freunde.

Der konservative Spitzenkandidat François Fillon ist jenseits seiner Kern-Gefolgschaft durch die Affäre um Staatsgeld für seine Frau so diskreditiert, dass ihn viele auch in einer Stichwahl gegen Le Pen nicht wählen würden. Favorit Emmanuel Macron muss, bei der Wahl und nachher, ohne die Unterstützung eines eingespielten Parteiapparats auskommen. Es ist also nicht sicher, dass es gut geht am Sonntag und 14 Tage später. Und wenn – dann geht es womöglich nur weniger schlecht.