Brüssel. „Olaf“ deckt Betrugsfälle in der EU auf und überprüft die Verfehlungen von Offiziellen. Auch Martin Schulz ist im Visier der Ermittler.

Thorsten Röglin ist ein europäischer Held. Läuft alles gut, wird er bald einen umfänglichen Betrugsfall aufdecken, Schuldige namhaft machen und helfen, einen Schaden in Höhe von 50 Millionen Euro zulasten des Steuerzahlers zu reparieren. Mit viel Applaus kann Röglin aber nicht rechnen. Denn der Mann ermittelt für „Olaf“, das Europäische Betrugsbekämpfungsamt, eine Einrichtung, deren Nützlichkeit größer als ihre Bekanntheit ist.

Die Abkürzung steht für den französischen Titel „Office de Lutte Anti-Fraude“. Das Amt residiert in einem der gesichtslosen Bürogebäude des Brüsseler Europaviertels und soll Machenschaften zum Nachteil der EU-Kasse aufdecken.

Martin Schulz im Fokus der Fahnder

Dazu gehört etwa, dass der britische Zoll jahrelang auf Import-Schuhe und -Kleidung aus China zu wenig Zoll erhoben und so Verluste von rund zwei Milliarden Euro angerichtet hat. Die EU-Fahnder untersuchen aber auch Verfehlungen von EU-Offiziellen, beispielsweise ob Martin Schulz als Präsident des EU-Parlaments Gefolgsleute unzulässig begünstigt hat.

„Olaf“ utersucht beispielsweise, ob Martin Schulz als Präsident des EU-Parlaments Gefolgsleute unzulässig begünstigt hat.
„Olaf“ utersucht beispielsweise, ob Martin Schulz als Präsident des EU-Parlaments Gefolgsleute unzulässig begünstigt hat. © Getty Images | Steffi Loos

Es sind Fälle von Gewicht. Doch die Fahndung hat nicht gerade Krimi-Qualität – hier wird nicht verhaftet oder abgeführt. Die dürren Erfolgsmeldungen beschränken sich auf eine mit „Empfehlungen“ versehene Mitteilung, der Fall xy sei abgeschlossen.

Großer Posten im EU-Haushalt

Hauptkommissar Röglin, 52, ist seit 2013 dabei, abgestellt vom Betrugs- und Korruptionsdezernat des Landeskriminalamts Berlin. Dort hat er an der Aufklärung des Skandals um den Konkurs der Bankgesellschaft mitgewirkt. Spannend genug – warum ist er nach Brüssel gegangen? Die Internationalität habe ihn angezogen. „Das ist im Verhältnis zu meinem vorigen Job eine Attraktion: Man ermittelt an verschiedenen Orten, in unterschiedlichen Ländern“, sagt er.

Seine Abteilung kümmert sich um Forschungsförderung, mit rund 80 Milliarden Euro im Finanzrahmen 2014-20 einer der größten Posten im EU-Haushalt – verlockend auch für unsaubere Geschäftemacher und Schwindler. Ein halbes Dutzend Mal im Jahr rückt Röglin aus, um einer Spur vor Ort nachzugehen. Um die Bücher eines Subventionsempfängers zu checken oder zu prüfen, ob die abgerechnete Leistung eines Vertragspartners auch erbracht wurde.

Drei Ermittler auch in Dubai, Kiew und Schanghai

Der Hauptarbeitsplatz ist freilich Brüssel. Das gilt für die meisten der rund 420 „Olaf“-Mitarbeiter. Nur drei Ermittler sind fest im Ausland stationiert: Je einer in Dubai, in Kiew und Schanghai. Dort lohnt sich die systematische Kon­trolle, ob mit den EU-Hilfen an Drittländer Schindluder getrieben wird. Ansonsten haben „Olafs“ Detektive vorwiegend mit Papier zu tun: Abrechnungen, Überweisungen, Dateien. Bürokraten-Kram? Röglin protestiert, „ich bin kein Bürokrat. Und machtlos bin ich auch nicht!“

Röglins Chef heißt Giovanni Kessler, ein silberhaariger Italiener aus dem Trentino, der weder Schimanski noch 007 ähnelt: „Das James-Bond-Element hält sich in Grenzen. Wir haben es ja meistens mit Wirtschaftsdelikten zu tun, da gibt es nicht so viel Action …“ Aber seine Leute seien das einzige investigative Organ der Union, „das sich um Betrug bei EU-Mitteln kümmert“.

Ermittlern sind enge Grenzen gezogen

„Olaf“ ist keine Ober-Polizei. Den Ermittlungen ist ein enger Rahmen gezogen. Ein bisschen zu eng, findet Hauptkommissar Röglin: „Das ist schon ein Nachteil. Für Befragungen brauche ich eine rechtsverbindliche Genehmigung. Ich muss fragen: Sind Sie einverstanden? Können Sie mir die Unterlagen geben? Wir können die Leute nicht zur Aussage zwingen … Als Ermittler hätte ich gern mehr Ermittlungsbefugnisse.“

„Olaf“ sei strukturell geknebelt, sagt auch die Europa-Abgeordnete Ingeborg Gräßle. „Das funktioniert nach dem Modell Verwaltungsuntersuchungen, wo man praktisch keinen strafrechtlichen Durchgriff, keine Kontoeinsicht, kein Beschlagnahmerecht hat.“

Auch innerhalb der EU gibt es Kritik

Gräßle ist Vorsitzende des Haushaltskontrollausschusses des EU-Parlaments und die hartnäckigste Kritikerin von Behördenchef Kessler, dem sie Selbstherrlichkeit und Kontrollsucht vorwirft. „Er hat eine überragende Macht, da gibt es zu wenig ‚checks and balances‘!“ Der Italiener habe die Sichtung der einlaufenden, teils anonymen Anzeigen und Hinweise in einer Abteilung zentralisiert, was zum Bearbeitungsstau und zu Effizienz-Einbußen führe.

Das Verfahren ist in der Tat umständlich. Zunächst prüft „Olaf“, ob der Anfangsverdacht eine Untersuchung rechtfertigt. Dann folgt die Ermittlung selbst, im Erfolgsfall mit einem Resultat: Betrug liegt vor, Schaden beziffert. Der Vollzug – Geld wieder eintreiben, eventuell auch Strafen – ist dann allerdings Sache der nationalen Behörden.

Untersuchungen dauern oft sehr lang

Laut Gräßle dauert der „Olaf“-Vorlauf im Schnitt 36 Monate. „Da droht Verjährung – die Chance ist groß, dass man von einem Fall nie wieder hört, wenn er an die nationalen Behörden übergeben wurde.“ Ähnliche Sorgen hat unlängst der unabhängige Experten-Ausschuss zu Protokoll gegeben, der „Olaf“ kontrolliert. Aus Sicht des Amtes ist das nicht ganz fair. „Wir werden immer kritisiert, dass unsere Untersuchungen lange dauern. Da ist etwas dran, aber dafür gibt es Gründe“, sagt Monika Effenberg, eine 48-jährige Österreicherin, die in der Abteilung für Regionalhilfen arbeitet.

„Wir sind auf Informationen aus den Mitgliedstaaten angewiesen, und das dauert manchmal ziemlich lange.“ Ihr Kollege Röglin wünscht sich mehr Rückendeckung aus der Heimat. „Ein bisschen Werbung durch Justiz und Finanzverwaltung in Deutschland wäre hilfreich. ‚Olaf‘ ist da nicht bekannt genug.“

Nicht alles, was fragwürdig ist, ist auch Betrug

Die Vorprüfung in Sachen Schulz läuft noch. Es geht um den Vorwurf, der Parlamentspräsident habe einem Mitarbeiter regelwidrig Reisespesen und Tagesgelder zugeschanzt. Noch steht die Entscheidung darüber aus, ob die Indizien eine förmliche Ermittlung rechtfertigen. „Ich würde das erwarten“, meint Gräßle. „‚Olaf‘ muss das untersuchen! Aber ich habe da wenig Hoffnung.“ Vermutlich zu Recht. „Wir befassen uns mit Betrug“, heißt es im Hause, „aber nicht alles, was politisch fragwürdig ist, ist schon Betrug.“