London. Die Abwanderung von EU-Bürgern aus Großbritannien kann die Wirtschaft empfindlich treffen. Das Land ist auf Zuwanderer angewiesen.

Ganz schön frech. Da ist man zu einem Arbeitsbesuch bei der britischen Premierministerin Theresa May eingeladen und was macht der französische Präsidentschaftskandidat Emmanuel Macron? Er versucht, den Briten ihre Arbeiter abzuwerben.

Nach seinem Treffen mit May in dieser Woche tönte Macron in London: „Ich werde eine Reihe von Initiativen auflegen, um talentierte Leute, die hier in der Forschung und vielen anderen Feldern beschäftigt sind, nach Frankreich zu locken.“ Mit dem kommenden Brexit, denkt sich Macron, werden EU-Bürger, die bisher in Großbritannien leben und arbeiten, wohl offene Ohren für seine Worte haben.

Theresa May zu Gast bei Kanzlerin Merkel

Die neue Regierungschefin von Großbritannien, Theresa May (li.), war am Mittwoch zum Antrittsbesuch bei Angela Merkel zu Gast.
Die neue Regierungschefin von Großbritannien, Theresa May (li.), war am Mittwoch zum Antrittsbesuch bei Angela Merkel zu Gast. © REUTERS | HANNIBAL HANSCHKE
Die neue britische Premierministerin war extra angereist, um sich persönlich bei der Kanzlerin vorzustellen.
Die neue britische Premierministerin war extra angereist, um sich persönlich bei der Kanzlerin vorzustellen. © Getty Images | Sean Gallup
Die Kanzlerin empfing Theresa May ...
Die Kanzlerin empfing Theresa May ... © Getty Images | Sean Gallup
... mit militärischen Ehren ...
... mit militärischen Ehren ... © dpa | Soeren Stache
... im Kanzleramt in Berlin.
... im Kanzleramt in Berlin. © dpa | Rainer Jensen
Für die Fotos der Journalisten stiegen die beiden Regierungschefinnen auf ein Podest.
Für die Fotos der Journalisten stiegen die beiden Regierungschefinnen auf ein Podest. © REUTERS | STEFANIE LOOS
Händeschütteln mit der Kanzlerin: Für May war es die erste Auslandsreise im Amt der Premierministerin.
Händeschütteln mit der Kanzlerin: Für May war es die erste Auslandsreise im Amt der Premierministerin. © REUTERS | HANNIBAL HANSCHKE
May setzte damit ein Signal: Die Beziehung zu Deutschland ist ihr wichtig.
May setzte damit ein Signal: Die Beziehung zu Deutschland ist ihr wichtig. © Getty Images | Sean Gallup
Es ist das erste Mal in der britischen Geschichte, dass die erste Auslandsreise eines Premiers nach Berlin führt.
Es ist das erste Mal in der britischen Geschichte, dass die erste Auslandsreise eines Premiers nach Berlin führt. © REUTERS | STEFANIE LOOS
Schon vor dem Besuch waren die beiden Frauen miteinander verglichen worden, Medien haben Gemeinsamkeiten und Unterschiede ausgemacht.
Schon vor dem Besuch waren die beiden Frauen miteinander verglichen worden, Medien haben Gemeinsamkeiten und Unterschiede ausgemacht. © REUTERS | STEFANIE LOOS
Beide sind Pfarrerstöchter, verheiratet, aber kinderlos.
Beide sind Pfarrerstöchter, verheiratet, aber kinderlos. © Getty Images | Sean Gallup
Die Premierministerin trägt gerne ausgefallene Schuhe.
Die Premierministerin trägt gerne ausgefallene Schuhe. © dpa | Michael Kappeler
In den Gesprächen mit der Kanzlerin sollte zentrales Thema das britische Votum für den EU-Austritt sein. Auch um die Entwicklungen in der Türkei, den Terror und die Flüchtlingsbewegung sollte es gehen. Vorverhandlungen zum Brexit stünden allerdings nicht auf der Tagesordnung.
In den Gesprächen mit der Kanzlerin sollte zentrales Thema das britische Votum für den EU-Austritt sein. Auch um die Entwicklungen in der Türkei, den Terror und die Flüchtlingsbewegung sollte es gehen. Vorverhandlungen zum Brexit stünden allerdings nicht auf der Tagesordnung. © REUTERS | HANNIBAL HANSCHKE
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Da mag er richtig liegen. Auch wenn der Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union erst in zwei Jahren stattfinden soll, wirft der Brexit seine Schatten schon voraus. Immer mehr Menschen überlegen sich, ob sie ihre Zelte im Königreich abbrechen sollen. Die britische Statistikbehörde „Office for National Statistics“ (ONS) hat jetzt Zahlen vorgelegt, die einen Brexit-Effekt für den Arbeitsmarkt nahelegen. Es sei noch kein statistisch signifikanter Trend zu vermelden, aber dennoch gäbe es Anzeichen für eine Trendwende bei EU-Ausländern.

Bisher keine Bleibegarantien für EU-Bürger

May vor der Downing Street in London.
May vor der Downing Street in London. © REUTERS | STEFAN WERMUTH

Einerseits hat sich deren Zuwanderung nach Großbritannien nicht erhöht, sondern sei leicht gefallen. Im Jahr bis zum September 2016 kamen 268.000 von ihnen ins Königreich gegenüber 269.000 im Jahr davor. Andererseits zogen mehr EU-Ausländer, 103.000 gegenüber 85.000, wieder ab. Kommt es jetzt also zum Brexodus? „Es ist zu früh“, erklärte Nicola White vom ONS, „zu sagen, welch ein Effekt der Referendumsausgang auf die internationale Langzeitmigration haben wird.“

Das „Chartered Institute of Personnel and Development“ (CIPD) dagegen ist alarmiert durch die Tatsache, dass im letzten Quartal 2016 die Zahl der in der EU geborenen Arbeiter um rund 50.000 auf 2,3 Millionen gefallen ist. „Das schafft“, meint CIPD-Analytiker Gerwyn Davies, „bedeutende Herausforderungen bei der Rekrutierung in Sektoren, die traditionell auf nicht-britische Arbeiter angewiesen sind.“

Großbritannien braucht Arbeitskraft von Zuwanderern

Ein Fachkräftemangel begänne, sich bemerkbar zu machen. Und weitere „bedeutende“ Rekrutierungsschwierigkeiten kämen auf das Land zu, sollte Großbritannien im Zuge des Brexit seine Immigrationspolitik verändern. Auch Seamus Nevin vom Unternehmerverband „Institute of Directors“ warnt: „Die Zeichen, dass EU-Bürger gehen aufgrund des Klimas der Unsicherheit, sind beunruhigend für Arbeitgeber und Unternehmen.“

Am Freitag brachte die Wirtschaftszeitung „Financial Times“ die Situation in einem Leitartikel auf den Punkt: „Die Polen gehen nach Hause. Und das ist keine gute Nachricht.“ Denn Großbritannien braucht ihre Arbeitskraft. Mit einem Wachstum des Bruttoinlandsprodukts von 1,8 Prozent im Jahr 2016 liegt man im Spitzenfeld der G20, der wichtigsten Wirtschaftsnationen der Welt. Die Arbeitslosigkeit ist auf 4,8 Prozent gefallen.

Pfund gegenüber Euro um rund 15 Prozent gefallen

Ein Abzug von Arbeitskräften würde nicht nur die Niedriglohnsektoren wie Pflege, Landwirtschaft oder das Hotel- und Gastgewerbe treffen. Auch an den Universitäten würde ein Abzug von EU-Akademikern schmerzlich gespürt. Der staatliche Gesundheitsdienst „National Health Service“ (NHS) ist auf ausländische Mitarbeiter dringend angewiesen: Rund zehn Prozent aller Ärzte im NHS kommen aus der EU. Und was aus dem Londoner Finanzdistrikt werden soll, wenn die europäischen Banker abziehen, mag man sich gar nicht ausmalen.

Auch wenn der Brexit noch nicht stattgefunden hat, liegen die Gründe für einen Brexodus schon jetzt vor. Zum einen ist das Pfund gegenüber dem Euro um rund 15 Prozent gefallen. Das macht Großbritannien für viele Osteuropäer, die Geld nach Hause schicken wollen, unattraktiver. Zum anderen hat sich seit der Brexit-Abstimmung im Land das Klima gegenüber EU-Ausländern abgekühlt. Teilweise ist es zu krassen fremdenfeindlichen Übergriffen gekommen, wie der Ermordung des Polen Arkadiusz Jozwik im August in Harlow.

Schicksal von EU-Bürgern bleibt Verhandlungsmasse

Zwar hat der Brexit-Minister David Davis versichert, dass mit dem Austritt für die EU-Immigration „die Tür nicht mit einem Schlag zufällt“. Doch seine Chefin sendet ganz andere Signale aus. Premierministerin Theresa May hat sich bisher stur geweigert, irgendwelche Bleibegarantien für EU-Bürger zu versprechen. Damit bleibt deren Schicksal Verhandlungsmasse. Das „House of Lords“, das zur Zeit das Gesetz berät, das May dazu autorisiert, die Brexit-Verhandlungen einzuleiten, will für die EU-Ausländer in die Bresche springen. Das Oberhaus plant einen Gesetzeszusatz, der ihre Rechte garantieren soll. Doch May hat schon signalisiert, dass sie die Lords überstimmen will.