Berlin/Wiesbaden. Die Polizei in Berlin und Hessen will die militante Szene mit fortwährenden Aktionen wie Razzien schwächen. Die wichtigsten Antworten.

Noch vor Sonnenaufgang schlugen die Polizisten zu. Es war eine der größten Razzien gegen Islamisten in Deutschland, etwa 1100 Beamte waren am Mittwochmorgen im Einsatz. In Berlin hatten Spezialeinsatzkräfte bereits am Dienstagabend drei Verdächtige verhaftet und deren Wohnungen durchsucht.

Sie inspizierten – mal wieder – auch die mittlerweile berühmt-berüchtigte Fussilet-Moschee, in der auch der Attentäter vom Breitscheidplatz, Anis Amri verkehrte. Die wichtigsten Fragen zu einem Tag, an dem der Staat gegen die Islamisten-Szene Flagge gezeigt hat.

Welches Ziel verfolgen die Sicherheitsbehörden mit den Razzien?

Mehrfach schlugen Polizei von Bund und Ländern, oftmals in Zusammenarbeit mit dem Verfassungsschutz, in den vergangenen Wochen und Monaten gegen Islamisten zu. Im November gegen das Netzwerk des mutmaßlichen IS-Predigers Abu Walaa in Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen, kurz danach gegen den „Lies!“-Verein des Islamisten Ibrahim Abou-Nagie, der die bundesweiten Koran-Verteilungen initiiert hatte. Jetzt wurden die Behörden in Hessen, Bayern und Berlin aktiv.

Polizei-Razzia in der Islamistenszene (Mobile Ready)

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    Das Ziel: Die Behörden wollen Islamisten-Netzwerken ihre Führungsfiguren nehmen – und die Szene so nachhaltig schwächen. Zudem stehen Polizei in Bund und Ländern unter Druck: Im Fall des Berlin-Attentäters Anis Amri hatten sie heftige Kritik für ihr wenig entschlossenes Handeln einstecken müssen. Mit den Razzien wollen die Bundesländer nun klare Kante gegen Extremisten demonstrieren.

    Wie groß war die Gefahr eines Terroranschlags in Deutschland?

    Ein konkretes Ziel für einen Terroranschlag in Deutschland gab es noch nicht, so die Auskunft der Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt. Der Anschlag stand auch nicht unmittelbar bevor, heißt es. Bei der Durchsuchung der 54 Wohnungen, Geschäftsräume und Moscheen in Hessen fanden die Ermittler weder Waffen noch Sprengstoff.

    Sichergestellt wurden eine große Menge Speichermedien, Handys und Tablet-Computer. Es ging den Sicherheitsbehörden also eher um das mittel- bis langfristige Ziel, durch die Zerschlagung von Islamisten-Netzwerken auf lange Sicht einen Terroranschlag zu verhindern.

    Polizisten
    Polizisten © Getty Images | Thomas Lohnes

    Deutschlandweit gab es in den vergangen Monaten deswegen immer wieder Razzien gegen Extremisten. Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) lobte den aktuellen Einsatz: „Das zeigt, dass die deutschen Sicherheitsbehörden wachsam sind und entschlossen zugreifen, wenn es geboten und notwendig ist.“

    Die Durchsuchungen und Festnahmen seien in Verantwortung der hessischen Behörden erfolgt, die Bundesbehörden seien informiert worden, die Zusammenarbeit habe funktioniert.

    Was war der Zweck der Aktion in Berlin?

    Im Vergleich zu dem groß angelegten Zugriff in Hessen nahm sich die Aktion in der Hauptstadt bescheiden aus. Beamte eines Spezialeinsatzkommandos vollstreckten Haftbefehle gegen drei Islamisten, die im Verdacht stehen, ihre Ausreise als IS-Kämpfer nach Syrien und Irak vorbereitet zu haben. Pikant: Die 21, 31 und 45 Jahre alten Männer verkehrten in der als Dschihadisten-Treff bekannten Fussilet-Moschee in Moabit. Dort ging auch der Attentäter Anis Amri ein und aus.

    Mindestens zwei der Verhafteten kannten ihn offenbar auch persönlich. Wie eng der Kontakt war, werden vermutlich erst die Befragungen ergeben. Einer der Verhafteten, der 21 Jahre alte Soufiane A., stand schon mehrfach im Fokus der Behörden und fiel auch mit öffentlichen Aktionen auf, etwa als er mit IS-Fahne vor dem Brandenburger Tor posierte.

    Die Senatsinnenverwaltung dürfte sich von den Durchsuchungen bei den Verdächtigen und in der Fussilet-Moschee auch weiteres belastendes Material für das angestrebte Verbot des Moschee-Vereins erhoffen, das in den kommenden Wochen ergehen soll. In den vergangenen Jahren waren aus dem Umfeld der Moschee mehrere ihrer Besucher nach Syrien und Irak gereist.

    Der einstige Moschee-Vorstand und ein weiteres Vereinsmitglied müssen sich als mutmaßliche Terror-Unterstützter zurzeit vor Gericht verantworten. Der einstige Imam wurde bereits verurteilt.

    Was weiß man über den mutmaßlichen Drahtzieher in Hessen?

    Die Sicherheitsbehörden in Hessen richten ihre Ermittlungen gegen insgesamt 16 Beschuldigte im Alter zwischen 16 und 46 Jahren. Einer von ihnen – ein 36-jähriger Mann aus Tunesien – war das Hauptziel der Razzien. Er gilt als Kopf des pyramidenartig organisierten Islamisten-Netzwerks. Den Behörden in Deutschland ist er gut bekannt.

    Laut Staatsanwaltschaft war der Mann seit August 2015 als Anwerber und auch als Schleuser für die Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS) im Einsatz. Der 36-Jährige lebte bereits zwischen 2003 und 2013 in Deutschland. 2015 reiste er dann wieder als Asylbewerber ein. Wo er sich zwischen 2013 und 2015 aufhielt, ist unklar. Im März 2015 soll er an dem Anschlag auf das Bardo-Museum in Tunis beteiligt gewesen sein. Damals starben mehr als 20 Menschen.

    Bis September 2016 saß der Mann in Deutschland in Auslieferungshaft. Doch weil die verantwortlichen tunesischen Behörden die Auslieferungspapiere nicht nach Deutschland schickten, musste der Mann wieder freigelassen werden. Seit September wurde der 36-Jährige nach Angaben des hessischen Innenministers Peter Beuth (CDU) rund um die Uhr überwacht. Die Behörden führten ihn jedoch nicht als Gefährder. Nach der Verhaftung am Mittwochmorgen will Tunesien nun die Auslieferung des Mannes beantragen. Deshalb stehe man im Kontakt mit Interpol, heißt es aus Tunis.

    Wie reagiert die islamistische Szene?

    Die Islamisten und IS-Sympathisanten in Deutschland werden zunehmend nervös. Die Szene ist durch die Razzien aufgeschreckt, führende Mitglieder von radikalen Gruppen sitzen in Haft. In Chats und sozialen Netzwerken warnen sie ihre „Geschwister“ vor Durchsuchungen, veröffentlichen Gebrauchsanweisungen, wie man sich bei Razzien zu verhalten habe und welche Maßnahmen die Polizei ergreifen dürfe.

    Ein IS-naher Kanal prahlt sogar damit, dass es einen „Maulwurf“ bei den Sicherheitsbehörden gebe, der die Szene mit Informationen über weitere bevorstehende Durchsuchungen warne. Als Gefährder eingestufte Islamisten vermuten, jetzt verstärkt beobachtet zu werden – und liegen damit vermutlich richtig.