Berlin. In seiner letzten große Rede sorgt sich der scheidende Bundespräsident Joachim Gauck um das Land. Und ruft zu mehr Selbstvertrauen auf.

Es ist ein Abschied nach Maß. Joachim Gauck hat dem Amt des Bundespräsidenten nicht nur die Würde zurückgegeben, die nach den unglücklichen Rücktritten seiner Vorgänger Christian Wulff und Horst Köhler fast verloren gegangen war. Gauck ist auch der erste Präsident seit 13 Jahren, der sein Ausscheiden aus dem Amt würdevoll organisieren kann: 200 Gäste sind am Mittwochvormittag ins Schloss Bellevue gekommen, um in feierlichem Rahmen zu hören, was das Staatsoberhaupt als Vermächtnis zurücklassen will.

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– aber er zeigt sich mit Blick auf die innere und äußere Sicherheit deutlich besorgter als am Anfang. Der Präsident fordert die Bürger deshalb eindringlich zur Verteidigung der Demokratie auf. Was er den Deutschen in ernsten Zeiten zu sagen hat – und was von Gauck bleibt:

Stolz auf das Land

Gauck ist stolz auf Deutschland und will, dass es auch die Bürger sind. Für diesen „aufgeklärten Patriotismus“ hat er in den fünf Amtsjahren immer wieder geworben: „Es ist das beste, das demokratische Deutschland, das wir je hatten“, sagt er jetzt. Gauck nennt sich einen „Verfassungspatrioten“, Reformbedarf im Innern sieht er kaum.

Gauck: "Es ist das beste Deutschland, das wir jemals hatten"

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    Er ist mit Leidenschaft Präsident, er hätte gern eine zweite Amtszeit drangehängt, wenn er nicht in Kürze schon 77 Jahre alt würde. Was ihn als Präsident bis 2022 beschäftigt hätte, nimmt er nun in einem Szenario neuer Herausforderungen vorweg: Große Anstrengungen seien notwendig, damit das Land stark bleibe.

    Demokratie unter Beschuss

    Gauck klingt pessimistischer als in seiner Antrittsrede vor fünf Jahren, vieles hat sich seitdem geändert. Er sei nun stärker beeinflusst vom Bewusstsein der Gefahren für das Land, gesteht er: Schwäche der EU, Kriege im Nahen Osten und der Ostukraine, islamistischer Terror. Auch mit dem künftigen US-Präsidenten Donald Trump sieht Gauck „Herausforderungen“ für die internationale Ordnung.

    „Die liberale Demokratie und das politische und normative Projekt des Westens stehen unter Beschuss“. Gauck gibt den Mahner: Wer in solchen Zeiten Entscheidungsschwäche und Risikoscheu zeige, müsse womöglich einen hohen Preis zahlen, finanziell und politisch. Entschlossenes Handeln sei aber schwer für eine Gesellschaft, die sich bequem eingerichtet habe.

    Eindringlich warnt er, etwa bei der Lösung der Flüchtlingskrise, nicht „auf halbem Weg stehen zu bleiben“ – sonst drohe eine neue Zuspitzung. Auch die Probleme mit dem Euro sieht Gauck noch nicht dauerhaft gelöst. Mancher Zuhörer versteht seine Mahnung zu entschlossenem Handeln auch als leise Kritik an der Kanzlerin.

    Mehr Streit wagen

    Deutlich wie nie fordert der Präsident mehr Einsatz für die Demokratie. Das Bürger-Engagement hat ihn stark umgetrieben, bei vielen Besuchen hat er Ehrenamtliche gewürdigt. Doch jetzt wird Gauck ungeduldig: „In Teilen der Gesellschaft ist ein Anspruchsdenken gewachsen, das den Staat allein als Dienstleister sieht ...“ Aber: „Demokratie ist kein politisches Versandhaus.“ Sie sei „Mitgestaltung am eigenen Schicksal“.

    Gauck mahnt außerdem, Meinungen nicht zu schnell als Populismus abzutun. Er meint wohl auch die AfD, als er erklärt: Die Einbeziehung von Themen, die die politische Mitte kritisch beäuge, könne hilfreich sein. Diskussion sei der Sauerstoff der offenen Gesellschaft: „Heftig streiten, aber mit Respekt und dickem Fell.“

    Die Sicherheit verbessern

    Bei diesem Thema mischt sich Gauck mit Klartext in den aktuellen Streit ein: Mehr Sicherheit sei keine Gefahr für die Demokratie, sondern zu ihrem Schutz notwendig. „Der Rechtsstaat verliert, wenn er sich im Kampf gegen Gewalt und Terror als zu schwach oder gar hilflos erweist.“ Die Bürger müssten sich auf die schützende Hand des Staates verlassen können. „Wir brauchen eine engere internationale Zusammenarbeit und eine effektivere Gefahrenabwehr im Innern.“

    Mehr Verantwortung in der Welt

    Die Forderung, Deutschland müsse mehr internationale Verantwortung in der Welt übernehmen, notfalls auch militärisch, ist ein Leitthema von Gaucks Amtszeit. Nicht überall hat ihm das Zustimmung eingebracht. Aber jetzt legt Gauck nach, es ist zentraler Teil seines Vermächtnisses: Zwar habe Deutschland schon mehr getan, aber es komme seinen Verpflichtungen bei Weitem noch nicht nach.

    Gestaltungswillen vermisst Gauck etwa zur Stabilisierung der EU. Deutschland könne auch mehr tun für Diplomatie, Krisenprävention, UN-Missionen oder eine verbesserte Verteidigungsfähigkeit der Nato.

    „Das ist der Kern der wehrhaften Demokratie“

    Wer will, kann darin auch eine sanfte Rüge für die Kanzlerin und für seinen Nachfolger Frank-Walter Steinmeier herauslesen. Deutschland müsse sich engagieren, wenn es nicht zum Spielball der Interessen anderer werden solle, sagt Gauck. „Das ist der Kern der wehrhaften Demokratie, das ist republikanische Verteidigungsbereitschaft.“

    Noch sieht der Präsident bei den Deutschen „Ängstlichkeit“ und „Selbstzweifel“, aber er hat ein Gegenmittel. Das Wichtigste sei eine Haltung: „Es ist das Vertrauen zu uns selbst, das Vertrauen in die eigenen Kräfte.“ Mit diesem Appell endet nicht nur seine Rede – es ist eine Botschaft, mit der Gauck in Erinnerung bleiben möchte. „Wir bleiben“, fügt er an, „gelassenen Mutes“.