Berlin. Ein Viertel aller Dschihad-Rückkehrer liefert deutschen Sicherheitsbehörden Informationen über Islamisten. Jeder zweite bleibt radikal.

Ein Viertel der aus Dschihad-Kampfgebieten nach Deutschland zurückgekehrten Islamisten arbeitet einem Bericht zufolge mittlerweile mit den Sicherheitsbehörden zusammen. Das meldet die „Welt“ unter Berufung auf eine als Verschlusssache eingestufte Studie zu Radikalisierungshintergründen. Diese wurde vom Hessischen Informations- und Kompetenzzentrum gegen Extremismus, dem Bundeskriminalamt (BKA) und dem Bundesamt für Verfassungsschutz erstellt.

Demnach reisten mehr als 850 Islamisten in den vergangenen Jahren in das Bürgerkriegsgebiet nach Syrien und den Nordirak aus. Für die Studie seien 784 Lebensläufe von Menschen zwischen 13 und 62 Jahren untersucht worden, die sich dort den Terrorgruppen angeschlossen hätten. 274 seien inzwischen wieder in Deutschland, heißt es.

Jeder zweite bleibt dem Extremismus treu

Knapp die Hälfte (48 Prozent) der Heimkehrer bleibt ihrem extremistischen Milieu treu, wie die „Welt“ weiter unter Berufung auf die Studie berichtete. Bei acht Prozent gingen die Behörden nur von einer „taktisch motivierten Rückkehr aus, etwa um sich zu erholen oder um neue Ausrüstung oder Geld zu besorgen“. Lediglich etwa jeder zehnte Ausgereiste sei bislang frustriert oder desillusioniert zurückgekehrt.

Etwa ein Drittel der ausgereisten Islamisten soll sich der Studie zufolge noch im Kriegsgebiet aufhalten. Ein Drittel sei mittlerweile zurückgekehrt, zwölf Prozent von ihnen seien inhaftiert. Die restlichen Personen befänden sich wohl im Ausland, oder ihr Aufenthaltsstatus sei unbekannt, heißt es in dem Bericht.

Gesichter der deutschen Islamisten-Szene

SVEN LAU: Der Ex-Feuerwehrmann aus Mönchengladbach ist eher ein Mann der leisen, emotionalen Töne. In der Szene ist er dafür zeitweise als „Weichei“ verspottet worden. Wohl zu Unrecht: Der Verfassungsschutz attestiert dem Salafistenprediger fortgeschrittene Radikalisierung.
SVEN LAU: Der Ex-Feuerwehrmann aus Mönchengladbach ist eher ein Mann der leisen, emotionalen Töne. In der Szene ist er dafür zeitweise als „Weichei“ verspottet worden. Wohl zu Unrecht: Der Verfassungsschutz attestiert dem Salafistenprediger fortgeschrittene Radikalisierung. © dpa | Marius Becker
Im Juli 2017 ist er als Terrorhelfer zu fünfeinhalb Jahren Haft verurteilt worden. Das Düsseldorfer Oberlandesgericht sprach den 36-Jährigen wegen Unterstützung der islamistischen Terrormiliz Jamwa schuldig.
Im Juli 2017 ist er als Terrorhelfer zu fünfeinhalb Jahren Haft verurteilt worden. Das Düsseldorfer Oberlandesgericht sprach den 36-Jährigen wegen Unterstützung der islamistischen Terrormiliz Jamwa schuldig. © dpa | Federico Gambarini
PIERRE VOGEL: Der Prediger und Ex-Profiboxer aus dem Rheinland ist ein Weggefährte Sven Laus. In jüngster Zeit distanzierte er sich ausdrücklich von der Terrormiliz „Islamischen Staat“ (IS) und soll dafür sogar Morddrohungen erhalten haben. Kuriosum am Rande: Sein Vater ist Hells-Angels-Rocker.
PIERRE VOGEL: Der Prediger und Ex-Profiboxer aus dem Rheinland ist ein Weggefährte Sven Laus. In jüngster Zeit distanzierte er sich ausdrücklich von der Terrormiliz „Islamischen Staat“ (IS) und soll dafür sogar Morddrohungen erhalten haben. Kuriosum am Rande: Sein Vater ist Hells-Angels-Rocker. © Getty Images | Christian Augustin
IBRAHIM ABOU-NAGIE: Der Salafist wurde 2012 bundesweit als Initiator der umstrittenen Koranverteilungsaktion „Lies!“ bekannt. Er soll mehrfach Juden und Christen beschimpft haben. Das Amtsgericht Köln verurteilte ihn wegen gewerbsmäßigen Betrugs zu einer Bewährungsstrafe. Nagie hatte zu Unrecht 54.000 Euro Sozialleistungen kassiert. „Lies!“ ist inzwischen verboten, er klagt dagegen.
IBRAHIM ABOU-NAGIE: Der Salafist wurde 2012 bundesweit als Initiator der umstrittenen Koranverteilungsaktion „Lies!“ bekannt. Er soll mehrfach Juden und Christen beschimpft haben. Das Amtsgericht Köln verurteilte ihn wegen gewerbsmäßigen Betrugs zu einer Bewährungsstrafe. Nagie hatte zu Unrecht 54.000 Euro Sozialleistungen kassiert. „Lies!“ ist inzwischen verboten, er klagt dagegen. © REUTERS | Wolfgang Rattay
DENIS CUSPERT (alias DESO DOGG): Der 40-jährige ehemalige Rapper aus Berlin hat sich vor einigen Jahren in den Nahen Osten abgesetzt. Er wird als IS-Terrorist gesucht und steht auf der Terrorliste der Vereinten Nationen. Cuspert werden schwere Kriegsverbrechen vorgeworfen. Schon mehrfach wurde sein Tod kolportiert.
DENIS CUSPERT (alias DESO DOGG): Der 40-jährige ehemalige Rapper aus Berlin hat sich vor einigen Jahren in den Nahen Osten abgesetzt. Er wird als IS-Terrorist gesucht und steht auf der Terrorliste der Vereinten Nationen. Cuspert werden schwere Kriegsverbrechen vorgeworfen. Schon mehrfach wurde sein Tod kolportiert. © dpa | Di Matti
BERNHARD FALK: Der 49-Jährige (l.) – hier mit Sven Lau bei einer Salafisten-Kundgebung in Wuppertal 2015 – hat als Linksterrorist der Antiimperialistischen Zellen fast 13 Jahre hinter Gittern gesessen. Bereits vor Haftantritt konvertierte er zum Islam. Falk bewundert die Taliban und distanziert sich vom „Islamischen Staat“. Er betreut bundesweit islamistische Gefangene – aber nur die, die schweigen und nicht mit den staatlichen Ermittlern kooperieren.
BERNHARD FALK: Der 49-Jährige (l.) – hier mit Sven Lau bei einer Salafisten-Kundgebung in Wuppertal 2015 – hat als Linksterrorist der Antiimperialistischen Zellen fast 13 Jahre hinter Gittern gesessen. Bereits vor Haftantritt konvertierte er zum Islam. Falk bewundert die Taliban und distanziert sich vom „Islamischen Staat“. Er betreut bundesweit islamistische Gefangene – aber nur die, die schweigen und nicht mit den staatlichen Ermittlern kooperieren. © imago | Future Image
METIN KAPLAN (alias KALIF VON KÖLN): Dem Anführer einer fundamentalistischen Bewegung war 1992 in Deutschland Asyl gewährt worden. Als er 1996 zur Ermordung eines Gegenkalifen aufrief und der Mann in Berlin erschossen wurde, begannen Ermittlungen gegen ihn. Das Düsseldorfer Oberlandesgericht verurteilte Kaplan im Jahr 2000 zu vier Jahren Haft. 2004 wurde er in die Türkei abgeschoben, wo er wegen Hochverrats zu lebenslanger Haft verurteilt wurde und im Gefängnis sitzt. Mithilfe anderer plante er offenbar, die Türkei in einen islamistischen Gottesstaat zu verwandeln.
METIN KAPLAN (alias KALIF VON KÖLN): Dem Anführer einer fundamentalistischen Bewegung war 1992 in Deutschland Asyl gewährt worden. Als er 1996 zur Ermordung eines Gegenkalifen aufrief und der Mann in Berlin erschossen wurde, begannen Ermittlungen gegen ihn. Das Düsseldorfer Oberlandesgericht verurteilte Kaplan im Jahr 2000 zu vier Jahren Haft. 2004 wurde er in die Türkei abgeschoben, wo er wegen Hochverrats zu lebenslanger Haft verurteilt wurde und im Gefängnis sitzt. Mithilfe anderer plante er offenbar, die Türkei in einen islamistischen Gottesstaat zu verwandeln. © REUTERS | Reuters Photographer
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Zahl der Ausreisen stark gesunken

Laut Studie sei die Zahl der Ausreisen in Kriegs- und Krisengebiete stark zurückgegangen. Zwischen Juli 2015 und Juni 2016 seien 49 Fälle registriert worden. Im Jahr 2014, zur Zeit der Ausrufung des IS-Kalifats, seien es noch bis zu 100 Ausreisen monatlich gewesen.

Auch die Faktoren für eine Radikalisierung haben die Experten unter die Lupe genommen: So sei der Freundeskreis mit 54 Prozent der Hauptfaktor für eine Radikalisierung. Weitere Faktoren sind salafistische Moscheen (48 Prozent), Internetpropaganda (44 Prozent), radikale Islam-Seminare (27 Prozent) und die Koran-Verteilaktion „Lies!“ (24 Prozent). Radikalisierung finde damit „überwiegend in einem realen sozialen Umfeld statt“, zitiert die „Welt“ aus der Studie. (dpa/br)