Essen. Truppen und Peschmerga haben mit der Vertreibung des „Islamischen Staats“ aus Mossul begonnen – ein langer Häuserkampf wird befürchtet.

Am 4. Juli 2014 erklomm ein bärtiger Mann die Kanzel der Al-Nouri-Moschee in Mossul. Sein schwarzes Gewand und sein schwarzer Turban sollten ihn als Nachfahren des Propheten Mohammed ausweisen. Abu Bakr al-Baghdadi, der Führer der Terrororganisation „Islamischer Staat“ (IS), zeigte sich an diesem Tag das erste und einzige Mal der Öffentlichkeit. Er erklärte sich in salbungsvollen Worten zum „Kalifen aller Gläubigen“.

Nicht nur die muslimische Welt war schockiert. Anscheinend aus dem Nichts war der IS wie eine Urgewalt über den Irak hinweggefegt und schien unaufhaltsam auf dem Vormarsch zu sein. Etwas mehr als zwei Jahre später ist der Nimbus der Dschihadisten Geschichte, das Kalifat zerbrochen. Der Sturm auf seine letzte Hochburg im Irak hat begonnen. Mossul steht vor dem Fall.

Bis zu 20.000 IS-Kämpfer sollen sich in Mossul aufhalten

In der Nacht auf Montag verkündete der irakische Premier Haider al-Abadi im Staatsfernsehen den Beginn der lang erwarteten, immer wieder aufgeschobenen Offensive auf die Millionen-Metropole im Norden des Landes, die der IS Anfang Juni 2014 handstreichartig erobert hatte. „Die Stunde des Sieges hat geschlagen. Die Operation zur Befreiung der Provinz Nineveh hat begonnen“, sagte al-Abadi. Mossul ist die Hauptstadt dieser Provinz.

Begleitet von schwerem Artillerie-Feuer und Luftangriffen der US-geführten Koalition begannen am frühen Morgen etwa 4000 kurdische Peschmerga mit dem Vorstoß auf die Stadt. Von Süden aus kämpften sich Verbände der irakischen Armee vor, angeführt von Anti-Terror-Eliteeinheiten, die bereits im Sommer bei der Rückeroberung der einstigen IS-Hochburg Falludscha eine wichtige Rolle gespielt hatten.

20 Kilometer vom Stadtrand Mossuls entfernt

Insgesamt sollen in der Region um die 60.000 kurdische und irakische Soldaten und Milizionäre zusammengezogen worden sein. Unterstützt werden sie aus der Luft von der US-geführten Koalition, am Boden sind amerikanische, französische und britische Spezialkräfte im Einsatz, kanadische Sanitätseinheiten helfen mit mobilen Lazaretten. Sowohl die Kurden als auch die zentralirakische Armee erzielten am Montag im Laufe des Tages erhebliche Geländegewinne und sollen teilweise nur noch 20 Kilometer vom Stadtrand Mossuls entfernt sein.

Schon gegen Mittag vermeldeten die Kurden die Einnahme von neun früher christlichen Dörfern im Osten Mossuls. In den befreiten Orten führten die Peschmerga spontane Siegestänze auf, wohl auch, weil sie erleichtert waren, dass der IS sich weniger zäh verteidigte als erwartet. Vereinzelt sollen sie allerdings auf erheblichen Widerstand gestoßen sein, am Mittag waren bereits sechs Peschmerga gefallen, mehr als ein Dutzend wurden verletzt. Die irakische Armee berichtete, dass sie zwölf Dörfer eingenommen habe.

Blutiger Häuserkampf wird befürchtet

Das Ziel ist, den Belagerungsring um Mossul noch enger zu ziehen. Die kurdischen Peschmerga sollen allerdings ebenso wie die schiitischen Milizen nicht in die Stadt eindringen, in der fast ausschließlich sunnitische Araber leben. Die irakische Regierung will vermeiden, dass der Kampf einen ethnischen oder konfessionellen Charakter bekommt und sich die Bevölkerung aus Angst vor Vergeltungsaktionen hinter den IS stellt.

In Mossul sollen sich nach unterschiedlichen Schätzungen noch 4000 bis 20.000 Kämpfer des IS aufhalten. Sie sollen die Stadt schwer gesichert haben, mit Barrieren, Tunnel- und Grabensystemen, Minenteppichen und Sprengfallen. Kurdische Generäle befürchten, dass die Befreiung der Stadt selbst Wochen, wenn nicht Monate dauern und zu einem blutigen Häuserkampf ausarten könnte. Die Einwohner von Mossul sind allerdings sehr stolz auf ihre Stadt. Es gibt deswegen auch Stimmen in der Region, die davon ausgehen, dass sie sich gegen den IS erheben werden – schon, um zu verhindern, dass Mossul ein ähnliches Schicksal erleidet wie das syrische Aleppo, das in Schutt und Asche gelegt wird. In den vergangenen Tagen sollen bereits Checkpoints des IS angegriffen worden sein.

Die Region ist nicht auf die Flüchtlingsströme vorbereitet

Die Kampfmoral der Dschihadisten scheint aber ohnehin gelitten zu haben. Ein Iraker, der unter dem Pseudonym „Mosul Eye“ seit vielen Monaten aus der Stadt berichtet, vermeldete am Montag, dass die Kämpfer des IS aus dem Straßenbild verschwunden seien. Ein großer Konvoi mit IS-Kämpfern habe die Stadt Richtung Westen verlassen, Richtung Syrien. Etliche Kommandanten sollen sich schon in den vergangenen Tagen mit ihren Familien abgesetzt haben. Das Ziel: Rakka, die syrische IS-Hochburg.

Bis zu zwei Millionen Menschen sollen sich noch in Mossul aufhalten, die Vereinten Nationen befürchten ein neues Flüchtlingsdrama. Er sei „extrem besorgt wegen der Sicherheit“ der Zivilbevölkerung, teilte am Montag UN-Nothilfekoordinator Stephen O’Brien mit. Für den Fall von Häuserkämpfen warnen die Vereinten Nationen davor, dass „Zehntausende Mädchen, Jungen, Frauen und Männer“ zwischen die Fronten geraten oder als menschliche Schutzschilde benutzt werden könnten.

Bislang nur Unterkünfte für wenige Zehntausend Familien

Ausreichend gewappnet für einen neuen Flüchtlingsansturm ist die Region nicht. Obwohl die UN-Organisation OCHA schon seit dem Sommer um Mittel für die Unterbringung von Flüchtlingen wirbt, ist nur ein Bruchteil der benötigten Summe zusammengekommen – bislang existieren nur Unterkünfte für wenige Zehntausend Familien. Die UN rechnen aber im schlimmsten Fall mit bis zu einer Million Hilfesuchenden.

Aus Mossul selbst registrierte OCHA am Montag noch keine Flüchtlinge. Allerdings seien Menschen aus der zweiten im Irak verbliebenen IS-Hochburg Hawidscha in Erwartung anstehender Kämpfe geflohen. Hawidscha liegt 150 Kilometer südlich von Mossul in der Nähe der von Kurden kontrollierten Stadt Kirkuk. Hawidscha soll zeitgleich mit Mossul befreit werden.

Sollte der IS aus beiden Städten vertrieben werden, wäre dies das Ende des Terrorkalifats im Irak. Dem „Kalifen aller Gläubigen“ und seiner schwarzen Terrortruppe blieben dann nur noch die Gebiete in Syrien.