Berlin. Hätte die Justiz den Suizid von Dschaber al-Bakr verhindern können? Ja, sagt ein Jurist. Künftig solle eine Gesetzesänderung helfen.

Nach dem Suizid des Terrorverdächtigen Dschaber al-Bakr in der JVA Leipzig suchen Politik und Justiz nach Lösungen, um ähnliche Pannen künftig zu verhindern. Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) fordert eine permanente Videoüberwachung von mutmaßlichen Selbstmordattentätern, die sich in Haft befinden. Lässt sich das mit dem Gesetz vereinbaren?

Der Jurist Matthias Lachenmann aus Bonn hat jahrelange Erfahrung als Rechtsanwalt im Datenschutzrecht. Er erklärt, warum dieser Vorstoß seiner Einschätzung nach ins Leere läuft und das sächsische Justizvollzugsgesetz dringend neu geregelt werden müsste.

Was halten Sie von der Forderung, mutmaßliche Terroristen in Haft generell unter Videoüberwachung zu stellen?

Matthias Lachenmann: Davon halte ich nichts, da natürlich auch ein mutmaßlicher Terrorist nach rechtsstaatlichen Grundsätzen zu behandeln ist. Die Justiz muss alle Strafgefangenen grundsätzlich gleich behandeln. Eine ständige Videoüberwachung widerspricht insbesondere dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht, das auch Strafgefangenen eine Privatsphäre zugesteht. Es gilt, wie das Bundesverfassungsgericht festgestellt hat: „Ein Strafgefangener darf nicht zum bloßen Objekt des Strafvollzugs degradiert werden.“

Trotzdem greifen Behörden auf Videoüberwachung zurück, in Frankreich beispielsweise, um den inhaftierten Paris-Attentäter Salah Abdeslam zu überwachen. Ginge das auch hierzulande?

Lachenmann: Ja, da es spezielle Regelungen für Ausnahmefälle gibt. Nach Paragraf 88 des Strafvollzugsgesetzes und den meisten Strafvollzugsgesetzen der Länder gilt: Wenn die Gefahr einer Selbstverletzung oder gar eines Suizids beim Häftling besteht, kann eine Vollzugsanstalt bestimmte Sicherungsmaßnahmen treffen: Zum Beispiel die Unterbringung in einer Einzelzelle, schnell reißende Kleidung, damit sich der Verdächtige nicht erhängt – und eben die Videoüberwachung. Zumindest in den meisten Bundesländern.

Wäre das auch in der JVA Leipzig möglich gewesen?

Lachenmann: Eine Videoüberwachung in der Zelle wäre hier schwierig gewesen. Das liegt am sächsischen Strafvollzugsgesetz, das zwar eine Außenüberwachung zum Beispiel der Höfe erlaubt, diese in den einzelnen Zellen jedoch ausschließt. Insofern wäre man gut beraten, wenn man an dieser Stelle ernsthaft über eine Gesetzesänderung nachdenken würde. Eine Videoüberwachung in Kombination mit Kleidung aus schnell reißendem Material kann Leben retten und weniger in die Grundrechte der Gefangenen eingreifen als eine ständige persönliche Kontrolle. Sie wäre im Fall von Dschaber al-Bakr sicherlich sinnvoll gewesen.