Kiel. In vielen Urlaubsgebieten breiten sich die Nesseltiere explosionsartig aus – auch im Mittelmeer. Eine Warn-App soll Badende schützen.

Am Ostermontag tauchten sie zum ersten Mal in diesem Jahr vor Mallorca auf. Zu Hunderten drängten violett schimmernde Medusen in Cala Figuera und Portals Vells gegen die Strände: Leuchtquallen. Baden? Besser nicht. Der Hautkontakt mit dem Nesselgift der Tiere löst schwere Reizungen und starke Schmerzen aus.

Im Mai wiederholte sich das Schauspiel vor Ibiza. Seit einigen Jahren beobachten Forscher, dass sich Quallen explosionsartig vermehren, auch in Urlaubsgebieten wie dem Mittelmeer. 80 Prozent aller Badeunfälle, die Rettungsschwimmer auf Ibiza behandeln, sind Verbrennungen durch Quallen. Rasierschaum oder Backpulver können das Gift im Normalfall neutralisieren. Bei einem allergischen Schock hilft oft nur Kortison.

Rote Flagge: zu viele Quallen im Wasser

„Es gibt Zonen, etwa auf den Balearen, wo es passieren kann, dass an rund 100 Tagen der Badesaison die rote Flagge weht – weil zu viele Quallen im Wasser sind“, sagt Veronica Fuentes, Biologin am Institut für Meeresforschung in Barcelona. Für Urlauber eine herbe Enttäuschung, für die vom Tourismus lebenden Einheimischen eine wirtschaftliche Katastrophe.

Die Quallen geraten in die Rolle des Spielverderbers. Unbeschwert baden – ist das noch möglich? „Klar“, sagt Cornelia Jaspers. Die 37-jährige Hamburgerin ist Quallenexpertin am Geomar Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung in Kiel. Sie sucht die Nähe jener herz- und hirnlosen Tiere, die sich andere Menschen gern vom Leib halten.

Eine Quallenschwemme lässt sich gut vorhersagen

„Im Mittelmeer hat man teilweise sehr große Quallenprobleme“, räumt Jaspers ein. „Unter bestimmten Windbedingungen können aufgrund der Strömungsverhältnisse an der Balearen-Küste sehr viele Quallen angeschwemmt werden.“ Solche Wetterlagen ließen sich aber gut vorhersagen. „Die Spanier haben ein Frühwarnsystem entwickelt“, sagt Jaspers. „Urlauber können sich informieren, ob beispielsweise in den nächsten zwei Tagen an diesen oder jenen Stränden mit Quallenanlandungen zu rechnen ist.“

Das Warnsystem funktioniert über eine App. „Grumering“ heißt sie, entwickelt auf Mallorca. „Mit dieser App kann man selbst über Quallenvorkommen berichten, aber auch sehen, welche Regionen betroffen sind“, sagt Jaspers. Zudem lohnt ein Blick auf die an den Stränden gehissten Flaggen. Auch sie warnen vor Quallen. Gelb heißt Vorsicht, bei Rot gilt Badeverbot.

Das Quallen-Problem ist zum Großteil menschengemacht

In Südfrankreich setzen Urlaubsorte auf Barrieren aus Netzen. Veronica Fuentes ist jedoch skeptisch: „Quallennetze sind teuer in der Anschaffung, der Installation und der Wartung. Unter dem Strich bringen sie nicht viel.“

Cornelia Jaspers sieht ein weiteres Problem: „Man bringt mit den Netzen ein neues Hartsubstrat ins Meer ein – und damit Siedlungsgrund für Quallen.“ Tatsächlich mögen es die Weichtiere hart, zumindest in ihrer Kinderstube. Die Larven suchen nach dem Schlüpfen aus dem Ei einen harten Untergrund, setzen sich fest und entwickeln sich zu einem Polypen. „Dieser Polyp kann mehrere Jahre leben und produziert kleine Babyquallen, die er von seinem Körper abschnürt. Wie eine Miniatur-Quallenfabrik sozusagen.“

Durch die Überfischung fehlen den Quallen Nahrungskonkurrenten

Das heißt: Die Unmengen von Plastikmüll, der Beton von Hafenanlagen, Bohrinseln, Offshore-Windparks – all das ist Hartsubstrat, das die Fortpflanzung der Quallen erleichtert.

Auch eine weitere Ursache der Quallen-Schwemme ist menschengemacht: die Überfischung. „Fische und Quallen sind Nahrungskonkurrenten. Beide ernähren sich von kleinen Krebstieren“, sagt Cornelia Jaspers. „Wenn man die Fische aus dem System nimmt, bleibt ganz viel Nahrung übrig. Die Quallen füllen diese Lücke. Sie können sich so sehr gut vermehren.“

Auch die globale Erwärmung begünstigt die Verbreitung der Medusen

Die Erwärmung der Meere tut ein Übriges. „Alle Kreisläufe laufen bei höheren Temperaturen schneller ab. Bei Quallen zeigt sich das durch eine höhere Reproduktionsrate“, sagt Jaspers. Die in Nord- und Ostsee eingeschleppte Meerwalnuss etwa, eine Rippenqualle aus Amerika, produziert bis zu 15.000 Eier am Tag. „Wird es wärmer, wachsen die Tiere schneller und vermehren sich früher. Und die Polypen schnüren mehr Nachkommen ab.“

Badende müssen die Rippenqualle jedoch nicht fürchten – die Art hat keine Nesselzellen. Grundsätzlich sei die Situation in Nord- und Ostsee auch eine andere als im Mittelmeer, sagt Peter Sieman, Einsatzleiter der Rettungsschwimmer der Deutschen Lebensrettungsgesellschaft. Quallenplagen gebe es bisher nur, wenn etwa aus dem Golfstrom warmes Wasser weit nach Osten getragen werde. „Die Zahl der Behandlungen von Badenden hat nicht dramatisch zugenommen“, sagt Sieman. Aber für den Fall der Fälle sind die Helfer gerüstet: „Alle Stationen verfügen über ausreichend Rasierschaum.“