New York. Im Jahr eins von Trump stehen die Oscars unter besonderen Vorzeichen: Was könnte der deutschen Hoffnung „Toni Erdmann“ im Weg stehen?
- Wenn in der Nacht zu Montag die Oscars verliehen werden, geht auch der deutsche Film „Toni Erdmann“ ins Rennen
- Der Film wird hochgelobt und galt lange als aussichtsreicher Kandidat auf einen Oscar
- Die Ernennung von Donald Trump zum Präsidenten allerdings hat einiges verändert
Es ist lange her, dass Oliver Mahrdt so sehr auf diesen einen Abend hoffen konnte. Am letzten Sonntag im Februar werden in Hollywood die Oscars verliehen. Mahrdt ist hinter den Kulissen einer der Menschen, die einen deutschen Film zum Sieger in der Kategorie „Bester fremdsprachiger Film“ führen wollen. Er arbeitet für German Films, die Organisation, die den nationalen Auswahlprozess betreut. Lobbyarbeit für die nominierten Werke auch in Hollywood gehört zu seinem Job.
Zehn Jahre dauert die Durststrecke nun schon ohne eigenen Siegerbeitrag in dieser Sparte. Aber für 2017 sah es lange gut für aus „Toni Erdmann“. Im Mai hatte der Film über eine extrem ehrgeizige Unternehmensberaterin beim Festival in Cannes Weltpremiere gefeiert. Seitdem sprudelt das Lob. Ein Drama, in dem es um eine gestörte Vater-Tochter-Beziehung geht – das müsste doch auch in den USA zum Zeitgeist passen? Doch dann kam der 27. Januar. Und damit platzte die Weltpolitik in die Werbe-Arbeit bei German Films.
Präsident Donald Trump rief an diesem Tag den Einreisestopp aus, der es Menschen aus sieben Ländern verbietet, in die USA zu kommen. Ein Betroffener davon: der Regisseur Asghar Farhadi aus dem Iran. Dessen Drama „The Salesman“ ist ebenfalls im Rennen um den Auslands-Oscar. Das Team hinter dem Film über ein Schauspielerpaar will die Verleihung in Los Angeles boykottieren. Auch wenn für die Kino-Leute eine Reise-Ausnahme gemacht würde.
In Deutschland fragen sich nun manche: Zerstört dieses politische Zeichen gegen Trump die Chancen von „Toni Erdmann“? So negativ will Oliver Mahrdt das nicht sehen.
Meryl Streeps Rede klingt noch nach
„Dadurch, dass sehr viele Academy Member wählen, wird die Politik wieder weniger relevant“, findet er. Es gebe einfach sehr viele mögliche Motive für die persönliche Entscheidung der etwa 6700 Menschen im Zirkel der Oscar-Wähler.
Viele in Hollywood spekulieren darüber, wie viel Einfluss die politische Großwetterlage diesmal hat. Meryl Streeps Auftritt bei den Golden Globes Anfang Januar hatte diese Debatte befeuert. Die 67-Jährige hatte sich engagiert über die Bosheit von Donald Trump ausgelassen. Der Chefkritiker des Branchenblatts „Variety“ wertete das als starken Moment: „Es war weniger eine Protestrede oder eine Debatte über politische Ideen, sondern viel mehr eine Lehrstunde in Empathie“, meinte Owen Gleiberman. Streep zeigte sich in ihrer Ansprache fassungslos, dass Trump einen behinderten Journalisten nachgeäfft hatte und es an Einfühlungsvermögen fehlen ließ.
Mit Kunst oder mit Lobbyarbeit zum Sieg?
Aber wonach richten sich die Akademie-Mitglieder bei ihrer Abstimmung? Welche Rolle spielen ein brisantes Filmthema und das politische Umfeld wirklich? Nicht nur bei der glanzvollen Oscar-Gala, beim Auslandspreis, sondern auch in den Hauptkategorien?
Egal ob Produzenten, Filmförderer, PR-Berater, Schauspieler oder ihre Agenten – viele haben ihre ganz eigene Lieblingstheorie, was bei den wichtigesten Kinopreisen der Welt nach ganz oben führt.
Oscars 2017 - Das sind die Nominierten
Dabei stehen sich zwei Lager gegenüber. Da sind die Künstler und andere Beteiligte, die an die reine Strahlkraft ihrer Arbeit glauben. Handwerkliche Qualität garniert mit einer Prise Zeitgeist – der wie in diesem Jahr manchmal politisch sein kann – bringe den Sieg.
Und da ist eine zweite Gruppe, die daran glaubt, dass Lobbyarbeit hinter den Kulissen bei den Jury-Mitgliedern zum Erfolg führt. Die Mittel ihrer Politik „Marke Hollywood“ sind Dinnereinladungen, freundlich-offensive Briefe mit Filmkopien und monatelanges Händeschütteln bei Dutzenden Awardshows in der Oscar-Saison vor der Preisverleihung.
Wenn man alleine auf die Zahl der Nominierungen schaut, scheinen diesmal die Macher von „La La Land“ das richtige Erfolgsrezept gefunden zu haben: Der poetische Musikfilm über einen Jazzmusiker und eine Schauspielerin glänzt mit 14 Nominierungen. Er hat damit die Rekordmarke von „Alles über Eva“ und „Titanic“ aus den Jahren 1951 und 1998 erreicht.
Für eine neue Bestmarke bei den Siegen müssten am 26. Februar zwölf goldene Trophäen zusammenkommen. Das könnte gelingen, wenn sich Hollywood – wie zuletzt bei „The Artist“ (2012) und „Birdman“ (2015) – der Nostalgie für die eigene Branche hingibt.
Manchmal gewinnen die Underdogs
Diese zwei Filme sind zugleich gute Beispiele dafür, dass auch Liebe zur Kunst und klasse Handwerk an die Spitze führen können. Die Academy liebt dabei nicht nur auf der Leinwand die Underdogs und Benachteiligten. Sie ehrt sie auch manchmal bei der Gala als Preisträger auf der Bühne.
Die Musiker und Darsteller Glen Hansard aus Irland und Markéta Irglová aus Tschechien sind ein Beleg. Sie stachen 2007 die übermächtige Disney-Konkurrenz aus und gewannen für „Falling Slowly“ aus dem Liebesfilm „Once“ den Preis für den besten Song. „Wir haben diesen Film mit zwei Handkameras für 100.000 Dollar gedreht“, sagte Hansard in seiner Dankesrede. „Dieser Preis ist wunderbar. Macht Kunst.“
Diesmal ist Hollywood in „Moonlight“ verliebt
Diesmal ist halb Hollywood in den achtfach vorgeschlagenen Film „Moonlight“ verliebt. Sein Budget lag bei unter fünf Millionen Dollar (unter 4,7 Millionen Euro). Das ist ein Zehntel der Kosten für den ebenfalls in der Hauptkategorie nominierten Alienfilm „Arrival“. Das Drama über Kindheit und Jugend eines schwulen schwarzen Drogendealers erfüllt noch eine weitere Bedingung für einen preiswürdigen Film: Das Werk taugt als Beweis für die angeblich wachsende Toleranz in der Oscar-Wahltruppe.
Unter dem Begriff #OscarsSoWhite – etwa: Die Oscars sind so weiß – hatte es in den vergangenen Jahren viel Kritik gegeben. Die Akademie vergebe vor allem Preise an Weiße, wurde moniert, 2015 und 2016 war in den Schauspieler-Kategorien keine nicht-weißen Künstler nominiert. Dieses Mal nun sind sechs der 20 Nominierten afro-amerikanische Schauspieler und Schauspielerinnen, einer hat indische Wurzeln.
Blick hinter die Kulissen
Auch, wer einmal vor Ort die Oscars begleitet, ist oft überrascht, wie viel Raum es fernab von den Superstars für die Handwerker und unbekannten Film-Schaffenden gibt. So ist das Hauptquartier der Academy of Motion Picture Arts and Sciences in Beverly Hills oft ein Treffpunkt für die Nominierten in den Nebenkategorien. Dort versammeln sich Dokumentarfilmer, Zeichentrickkünstler, Make-Up-Experten und Auslandsregisseure. Mehr als 1000 Menschen sitzen in der Oscarwoche zu Filmvorführungen und Podiumsdebatten auf den roten Samtsesseln im Samuel Goldwyn Theatre.
„Toni Erdmann“-Regisseurin Maren Ade (40) wird sich dort austauschen mit ihren vier Konkurrenten um den Auslands-Oscar. Einer davon: die deutsch-dänische Produktion „Unter dem Sand“. Die Macher reden dann über Filmförderung und Drehbedingungen. Und über Hürden für Nachwuchskünstler in der Traumfabrik des US-Kinos. Es ist, so kann man dabei im spüren, noch Platz für echte Kunst in Hollywood.
„Am Ende ist „Toni Erdmann“ Berliner Schule“, sagt auch Oliver Mahrdt mit Blick auf diese Art des künstlerisch anspruchsvollen Filmedrehens. Fast drei Stunden dauert das Werk. Es ist dialoglastig, arbeitet mit ruhiger Kameraführung und langen Einstellungen. Unabhängig vom Ergebnis sei alleine die Nominierung ein großer Erfolg. Schließlich würden jedes Jahr mehr als 80 Länder um einen Platz auf der Vorschlagsliste der Auslandskategorie kämpfen.
Die Strippenzieher
Der Gegenentwurf zu diesen Filmkünstlern sind die kühlen Strategen hinter den Kulissen. Die Strippenzieher. Niemand beherrscht dieses Geschäft so gut wie die Brüder Harvey und Bob Weinstein. Die beiden sind die Gründer des Produktionsunternehmens Miramax, der Firma hinter überraschenden Oscar-Hits wie „Der englische Patient“, „Chicago“ und „Shakespeare in Love“, 1999 Sensationssieger als bester Film gegen Steven Spielbergs Kriegsdrama „Der Soldat James Ryan“.
Harvey Weinsteins erste große Kampagne war die für „Mein linker Fuß“, ein Drama, das 1990 für fünf Preise nominiert wurde und zwei gewann. „Damals haben die großen Studios die Oscars unter sich ausgemacht“, erinnert sich Weinstein im Buch „Down and Dirty Pictures“ von Peter Biskind. „Anstatt abzuwarten und dann verprügelt zu werden, weil jemand mehr Geld, mehr Macht und mehr Einfluss hat, haben wir eine Guerillakampagne gestartet.“
Weinstein überzeugte den irischen Regisseur Jim Sheridan, nach Los Angeles zu ziehen. Er schleppte ihn dort zu eigenen Dinnerevents, auf denen der Regisseur mit Academy-Mitgliedern plaudern konnte. Weil viele Mitglieder im Winter zum Skifahren nach Aspen in Colorado fuhren, organisierte Weinstein ihnen eben dort Vorführungen seiner Filme. Solche Methoden haben Erfolg: Auf mehr als 300 Nominierungen ihrer Filme können die Weinsteins stolz sein. 2017 kamen für das Indien-Drama „Lion – Der lange Weg nach Hause“ sechs hinzu.
Deutsche Oscar-Hoffnung „Toni Erdmann“
Deutscher für Doku-Kurzfilm nominiert
Auch der Deutsche Marcel Mettelsiefen hat schnell erkannt, wie dieses Spiel läuft. Neben dem Filmmusiker Hauschka, nominiert für seinen Soundtrack zu „Lion“, und dem „Toni Erdmann“-Team ist der Dokumentarfilmer eine weitere deutsche Hoffnung auf einen Oscar. „Watani: My Homeland“ heißt sein 40 Minuten langes Werk über die Flucht einer syrischen Familie aus Aleppo ins deutsche Goslar. Wer sich mit ihm über seine Chancen in der Kategorie „Bester Kurz-Dokumentarfilm“ unterhält, bekommt eine Antwort ohne Illusionen.
„Es geht sehr viel ums Marketing, das, was hier als „shmooze“ zelebriert wird“, erzählt der 38-Jährige. „„Amy“, der letzte Film, der in der großen Dokumentar-Kategorie gewonnen hat, hat 780.000 Dollar alleine in die Oscar-Kampagne gesteckt. Wenn man dieses Geld nicht hat, dann wird es sehr schwierig“, sagt Mettelsiefen. Den Trend zu schwindelerregenden Zahlen gibt es schon lange. 2002 hatte die „New York Times“ geschätzt, dass manche Studios bis zehn Millionen Dollar in die Oscar-Kampagne eines Films stecken.
Lebenslanger Ruhm und Milliarden-Geschäft
Keine Frage also, die Oscars sind auch ein Kommerzevent. Es geht um viel Geld: 1,2 Milliarden Filmtickets werden in den USA jedes Jahr verkauft. Weltweit spielen Kinos rund 50 Milliarden Dollar ein. Hinzu kommen Riesensummen für Streaming- und DVD-Lizenzen, Vermarktung und TV-Auswertung. Aber haben die Filme, die das meiste Geld bringen, auch bessere Chancen auf einen Sieg?
Bei der Akademie hat auf jeden Fall zuletzt ein Umdenken eingesetzt. Die Zeiten von elf Oscars für das Liebesepos „Titanic“ und den dritten Teil von „Herr der Ringe“ sind vorbei. Von den Nominierten für den Hauptpreis hat diesmal noch kein Film mehr als 150 Millionen Dollar eingespielt – in etwa die Grenze dessen, was Hollywood als Blockbuster ansieht.
Doch bei anspruchsvollen, mittelgroßen Werken zeigt sich, wie sehr sich ein Triumph später auszahlt. „American Beauty“ etwa lief zur Oscar-Verleihung im Jahr 2000 schon fast ein halbes Jahr in den US-Kinos und hatte fast 75 Millionen Dollar eingespielt. Nach fünf Oscars legte der Verleih Dreamworks noch einmal mit Kopien für rund 1200 Kinos nach und nahm so knapp 55 Millionen Dollar zusätzlich ein.
Kein Wunder also, dass viele nach dem immergültigen Geheimrezept für den Sieg suchen. Das scheint – trotz aller Theorien über Qualität und Strippenzieher – nicht so einfach zu finden.
Spannung vor dem 26. Februar
Wird am 26. Februar also der nostalgische Weltenflucht-Charme von „La La Land“ erfolgreicher sein als die Gesellschaftskritik von „Moonlight“? Welchen Platz gibt es für einen Publikumsliebling mit leichter, politischer Botschaft wie „Hidden Figures“ über die afroamerikanischen Frauen bei der Weltraumbehörde Nasa? Bringt in der Auslandskategorie eher ein international verständliches Thema wie bei „Toni Erdmann“ die Trophäe? Oder setzen die Oscar-Macher mit dem iranischen Film „Salesman“ doch ein Zeichen gegen Trump?
Im Rückblick lassen sich viele Preise der jahrzehntelangen Oscar-Geschichte meist mit anderen Gründen erklären als mit der großen Weltpolitik. Auch wenn engagierte Reden für Schlagzeilen sorgten, so ändern sie an den Grundfesten des Business wenig.
Vor der 89. Verleihung steht deshalb, wie früher, wohl hauptsächlich eines fest: Neben dem Umgarnen der Jury-Mitglieder braucht es ein irgendwie zeitgemäßes Thema und Top-Handwerk, am liebsten in Form eines Dramas mit einer Prise Gesellschaftskritik oder als große tragische Liebesstory. Wie diese Bestandteile der Erfolgsrezeptur dann genau gemischt sind, bleibt das ewige Rätsel der spannendsten Film-Show der Welt. (dpa)