Wien. Natur pur war einmal: Mit immer mehr Nervenkitzel und Events buhlen Wintersportorte um Touristen. Die Alpen werden zum Disneyland.

Die Zeit, in denen Urlauber allein wegen der frischen Luft, des spektakulären Ausblicks und der Skipisten in die Berge fuhren, scheint vorbei zu sein. Es wird aufgerüstet: Mit immer spektakuläreren Attraktionen und Events buhlen Hoteliers und Seilbahnunternehmen in den Alpen um Touristen.

Auf dem 2970 Meter hohen Schweizer Schilthorn etwa, dort, wo George Lazenby einst für den Film „Im Geheimdienst Ihrer Majestät“ den James Bond gab, befindet sich die „Bond World 007“. Ein Publikumsmagnet mit Helikoptersimulator und einem Bob, in dem Besucher eine Filmszene nachspielen können. Zur Stärkung wird ein „James Bond 007 Brunch“ geboten – Räucherlachs, Birchermüsli und Rühreier –, im Kombi-Ticket mit der Fahrt nach oben für umgerechnet 100 Euro.

Felsensteg führt in senkrechte Wände des Massivs

Seit diesem Sommer gibt es am Schilthorn eine weitere Attraktion: den sogenannten „Thrill Walk“. Ein Felsensteg, der hinab in die senkrechten Wände des Felsmassivs führt. 200 Meter lang schmiegt sich die Konstruktion aus Stahl, Glas und Gitter am Felsen entlang, bevor sie unter einer Aussichtsplattform und der Seilbahn hindurch schwingt und schließlich unterhalb der Bergbahnstation endet.

Zudem gibt es einen acht Meter langen Kriechtunnel – „speziell für Kinder, aber auch mutige Erwachsene“. Damit habe die Schilthornbahn ihr Ziel erreicht, „den Gästen bei der Mittelstation ein besonderes Erlebnis zu bieten und sie zu animieren, hier länger zu verweilen“, so Christoph Egger, Direktor der Schilthornbahn AG.

Günther Aloys machte Ischgl zum Erlebnisort

Als Auslöser des Spektakel-Trends sehen viele Günther Aloys, Hotelier, „Erlebniserfinder“ und „König von Ischgl“. Manch einer bezeichnet den mittlerweile über 60-Jährigen auch ehrfurchtsvoll als den „Reformator des Wintertourismus“. Mit seinen Ideen hat er es geschafft, den Skiort Ischgl im Tiroler Paznauntal in einen Markenartikel zu verwandeln. Er holte Musikstars von Bob Dylan bis Kylie Minogue auf den Berg und veranstaltete Sadomaso-Partys in der Disco seines Vier-Sterne-Hotels.

Nicht alles gelingt: Einmal wollte er Hunderte Kühe mit Motiven von Picasso und Warhol bemalen – bevor er merkte, dass die Farbe auf dem Fell gar nicht hält. „Die Alpen sind in der Tat ein großer Entertainment-Park, der innerhalb seiner Grenzen einen hohen Grad an Stallwärme bieten muss, will er attraktiv und ­interessant für seine Gäste bleiben“, sagt er. Aloys Günther meint damit Unterhaltung in all seinen Variationen: Sport, Musik, gutes Essen, Kultur, Kunst, Spiele, Hightech.

Gesucht: Action, Adrenalin-Kick, Unterhaltung

Es gehe vor allem um eine „totale Abwechslung vom Alltag“, meint Aloys. Werden die Alpen auf diese Weise in ein Disneyland verwandelt? Für Peter Zellmann vom Institut für Freizeit- und Tourismusforschung in Wien hört sich das zu negativ an. In erster Linie gehe es darum, auch Sommertouristen und Nicht-Skifahrer anzuziehen, „damit die Seilbahnen nicht brachliegen“.

Warum aber wollen die Gäste die Grenzen des Berg- und Naturerlebnisses hinausschieben, auf der Suche nach immer extremeren Formen von Nervenkitzel? Daran sei „nichts dekadent Verwerfliches“, so der Zukunftsforscher. „Das ist in der Natur des Menschen angelegt.“ Wir seien eben bei der Arbeit körperlich nicht mehr so ausgelastet wie noch in den 60er-Jahren. Das Alpenangebot bediene nur das, was wir sowieso suchten: Action, Adrenalin, Unterhaltung.

Werner Bätzing prangert eine künstliche Freizeitwelt an

Der bekannte Alpenforscher Werner Bätzing sieht das anders. Er prangert eine künstliche Freizeitwelt an und warnt in seiner Streitschrift „Zwischen Wildnis und Freizeitpark“ davor, die Bergnatur als Event zu vermarkten. Während die traditionelle bäuerliche Kulturlandschaft zurückgedrängt werde, habe sich in einigen Orten wie Ischgl oder Sölden ein Massentourismus herausgebildet, der letztlich zum „Erlebnis-Burn-out führen könne“, so Bätzings These.

Auch Thomas Bucher vom Deutschen Alpenverein sieht die Entwicklung kritisch. Mit der Aussichtsplattform „AlpspiX“, einem 24 Meter breiten Balkon aus Stahlgittern und Glas über einem 1000 Meter tiefen Abgrund am Osterfelderkopf hoch über Garmisch, könne er sich noch anfreunden, weil sie sich an einer Bergstation befinde und nur minimal in die Natur eingreife. Doch jahrmarktähnliche Attraktionen wie die Stahlseilrutsche „Flying Fox“ in Leogang (Österreich), die brauche es in den Bergen nicht.

Günther Aloys plant ein „Guggenheim Mountain“

„Die Alpen sind großartig genug, so wie sie sind“, sagt Bucher. Der Mensch benötige unverfälschte Landschaft, um sich erholen zu können: „Wir brauchen Wildnis, Tiere. Wenn wir alles zubauen, dann haben wir bald keine mehr. Berge verkommen zur Kulisse.“

Günther Aloys hat derweil schon neue Ideen: Er plant ein „Guggenheim Mountain“, die „weltlängste Treppe mit mindestens 8000 Stufen“, eine „Achterbahn vom Berg ins Tal mit zehn Kilometer Länge“ – alles im Einklang mit der Natur, versteht sich. „In Ischgl werden nur drei Prozent des gesamten Gemeindegebietes dem Tourismus gewidmet, 97 Prozent werden in Ruhe gelassen und sind pure Natur.“ Nur leider wolle und könne niemand pure Natur nutzen. Und so lässt sie sich nur schwer zu Geld machen.