Essen. Optimistischer, aber tiefsinniger Poprock – dafür steht Sänger Bosse. Ein Gespräch über tätowierte Liedzeilen, Empathie und die Türkei.

Er begeisterte gerade den Westen, erst in Düsseldorf, dann in Bochum: Sänger Bosse (37, „Schönste Zeit“). Auch mit etwas, das er nicht kann, aber dennoch leidenschaftlich macht – tanzen. Das Credo des gebürtigen Braunschweigers, der mit seinem letzten Album „Engtanz“ auf dem ersten Platz der deutschen Charts landete: Tu, was dir Spaß macht.

Am Mittwoch in Düsseldorf sagten Sie nach dem zweiten Song, Sie seien „durch“. Wie fühlen Sie sich erst nach einem ganzen Konzert?

Bosse: Nicht richtig kaputt, eher leer und glücklich. Da sind eine Menge Glückshormone im Spiel, denn ich habe auch mit körperlicher Anstrengung etwas sehr Sinnvolles gemacht. Musik ist super. Es ist ein Geben und ein Nehmen, denn von den Fans kommt viel zurück. Ich glaube, die ersten Hardcore-Bosse-Fans haben Kinder gezeugt, die jetzt zu meinen Konzerten kommen. Und nach dem Konzert knalle ich mir erst mal ein Malzbier rein.

Sind Sie vor Auftritten eigentlich noch nervös?

Bosse: Gar nicht. Früher konnte ich zwei Wochen nicht pennen. Heute penne ich zwei Stunden vor dem Konzert. Oder jogge eine Runde. Ich mache das ja ein paar Jahre und habe alles erlebt, vom Dosenwurf, über die Meute, die die Bühne übernimmt, bis zum Totalausfall der Technik. Was soll da noch passieren?

Kommen Ihre Eltern öfter mal zu Ihren Konzerten?

Bosse: Ja, mein Vater kommt dahin, wo er noch nicht war und wo es schön ist. Und er schätzt bei Festivals die Massage-Studios. Meine Mutter kommt aus Braunschweig schon mal nach Hamburg zum Konzert.

Findet Ihre elfjährige Tochter cool, was Sie auf der Bühne veranstalten?

Bosse: Sie weiß, was ich mache. Sie ist ja damit groß geworden. Ich glaube, sie findet es eher gut, wenn Herr Spiegelei von Deichkind bei uns auf der Bühne rappt.

Singen Sie für sie zu Hause in Hamburg auch manchmal?

Bosse: Nein, zu Hause ist Bosse-freie Zone. Wenn meine Tochter aus der Schule kommt, würde ich nie ins Studio gehen und arbeiten. Wir haben einen tollen Garten, da geht es dann hin. Ich bin gartengeil.

Viele Ihrer Lieder sind lebensbejahend und optimistisch. Sie reißen Ihre Fans mit, Sie gehen vorneweg, Sie schauen nach vorne. Fehlt das in unserem an vielen Ecken pessimistischen Deutschland manchmal?

Bosse: Ich denke schon. Es kommt drauf an, wem man zuhört. Es gibt einen Haufen dumme Leute und einen Haufen super Leute. Diesen empathischeren Leuten sollte man zuhören, und sie sollten auch lauter sein. Es gibt viele Beweise, dass die gute Seite des Lebens die Menschen glücklicher macht.

Sind Sie mit der Gesellschaft zufrieden oder bekommen die Dummen zu viel Gehör?

Bosse: Sie bekommen vor allem im Internet zu viel Aufmerksamkeit. Das Grundproblem: Das ist dieser Hass. Und dieses Kein-Bock-auf-Neues. Das eigene Leben ist verkorkst, die Menschen sind unzufrieden. Wenn das schon früh anfängt, wie soll man dann empathisch sein? Wie soll man offen sein, wenn alles zu ist, wenn man von allen verlassen ist und nie wegkommt?

Ein politisches Thema, das Sie sehr persönlich betrifft, sind die ständigen Spannungen mit der Türkei. Ihre Frau ist Deutschtürkin. Sie haben einmal gesagt, wer eine Türkin heiratet, heiratet auch das Land.

Bosse: Das stimmt. Es ist bei uns viel Unruhe im Familien- und Freundeskreis. Ich spüre Aufruhr und Verunsicherung. Ich muss etwas vorsichtig sein, ich habe zu dem Thema ja schon einiges gesagt. Ich wünsche der Türkei Fairness, Ruhe und Freiheit.

Sie sind am Samstag zum zweiten Mal innerhalb eines halben Jahres in Bochum aufgetreten. Wie sehen Sie das Ruhrgebiet?

Bosse: Grundehrlich, mit Grundhärte und Grundherzlichkeit. Ich kenne ja inzwischen ein paar Städte.

Ihre Fans lassen sich inzwischen Bosse-Liedzeilen tätowieren. Erstaunt?

Bosse: Ich bekomme die als Fotos zugeschickt und habe einen Ordner angelegt. Wenn ich mal ein fettes Studio habe, hänge ich alle auf.