Wuppertal . Am beschaulichen Stadtrand von Wuppertal hat Harald Krassnitzer gelernt, was Gelassenheit bedeutet. Er lebt dort schon seit 16 Jahren.

Manchmal sieht man ihn in der Schwebebahn. Oder beim Bäcker, im Supermarkt, auf dem Recyclinghof. Klar tuscheln die Leute dann, aber sie wollen nicht ständig Selfies mit ihrem prominenten Nachbarn machen. Das liebt Harald Krassnitzer an den Wuppertalern. Seit 16 Jahren wohnt er in der Stadt. Ein Leben in Berlin oder Salzburg kann er sich nicht mehr vorstellen. Krassnitzer, der seit sieben Jahren mit Ann-Kathrin Kramer (50) verheiratet ist und mit ihr eines der prominenten deutschen Schauspielerpaare bildet, schwärmt von seinem völlig glamourfreien Leben im Bergischen Land.

Wuppertal, so der 56-Jährige, sei zu einem prägenden Ort für ihn geworden. Er, der Zugezogene, kennt das Leben in anderen Städten, Dreharbeiten erfordern es, dass er viel reist. Am nächsten Sonntag (12. Dezember) ist er wieder in seiner Paraderolle im Wiener „Tatort“ zu sehen. Seit 1999 spielt er den eigenbrötlerischen Oberstleutnant Moritz Eisner – eine Rolle, die ihn verändert hat.

Realität ist härter als der Tatort

Durch die Beschäftigung mit Kriminalfällen „hat sich mein Blick für die Brutalität geschärft, über die die Medien berichten und mit der die Polizei Tag für Tag zu tun hat. Die Realität ist härter, grässlicher und abscheulicher als jeder ,Tatort‘.“ Harald Krassnitzer sagt, dass die Filme mit tatsächlicher Polizeiarbeit wenig zu tun haben. „Im ,Tatort‘ überschreite ich ständig Grenzen, raste aus, schieße jemanden an. In Wirklichkeit würde das alles ellenlange interne Untersuchungen nach sich ziehen.“

Krassnitzer stammt aus der Nähe von Salzburg. Seine Karriere begann als Theaterdarsteller, seit zwei Jahrzehnten verdient er sein Geld im Fernsehen. Er schaffte seinen Durchbruch als „Der Bergdoktor“ und übernahm Episodenrollen in „Das Traumschiff“ und „Katie Fforde“ – lukrative TV-Fließbandware. Die Rollen ermöglichen ihm ein finanziell sorgloses Leben, trotzdem hadert er. Einige Kollegen sind ihm zu selbstbezogen, das Filmgeschäft hält er für oberflächlich: „Das Eventhafte in der Film- und Medienbranche geht mir zunehmend auf den Geist.“

Früher vernachlässigte er Freunde

Auch in anderer Hinsicht hat sich seine Haltung zum Beruf verändert. Zu Beginn seiner Karriere neigte er dazu, an nichts anderes als seine Filme und Theaterstücke zu denken. „Ich habe mich als Schauspieler immer in andere Rollen geflüchtet.“ Er habe Freunde vernachlässigt, das tue ihm leid.

Krassnitzer erzählt von seiner Arbeitswut. Davon, wie er sich drei Monate vor einer Premiere völlig zurückzog aus seinem privaten Umfeld. Erst hinterher habe er realisiert, dass er das wahre Leben verpasst habe. „Es kam vor, dass Freunde ein Kind bekommen haben, ohne dass ich es mitbekam.“ Krassnitzer hatte immer öfter das Gefühl, die Welt gleite an ihm vorbei, „während ich mich mit irgendwelchen Dingen beschäftige, die ich gerade für das Wichtigste überhaupt halte“.

Therapie veränderte sein Leben

Er entschloss sich zu einem radikalen Schritt: Er unterzog sich einer Psychoanalyse. Auf der Couch sprach er von alten Traumata, manchmal weinte er eine Stunde durch. Die Therapie habe seine Einstellung zum Leben verändert. Durch den Blick von außen lernte er, besser zu verstehen, warum er gedanklich so oft woanders war. Die Psychoanalyse half ihm, Gelassenheit zu entwickeln. „Es war mir wichtig, endlich in der Welt anzukommen.“

Zum Ankommen gehört für ihn auch das Leben in der Provinz, in Wuppertal-Beyenburg. Seit er inmitten bergischer Schieferhäuser wohnt, habe er Zugang zu einer Realität, „die ich in den Großstädten, in denen ich ja meistens drehe, nicht erlebe“. In Wuppertal trifft der überzeugte Sozialdemokrat auf Fließbandarbeiter und Kassiererinnen – gelassene Menschen mit ganz alltäglichen Sorgen, so sieht er das. Er fühlt sich von ihnen inspiriert: „Sie führen ein kleineres Leben, sind aber trotzdem glücklich.“