Cannes. Nach ihrem Erfolg bei den Filmfestspielen in Cannes ist Diane Kruger stolz. In einem Film von Fatih Akin mitzuspielen, war ihr Traum.
Lange gab es diesen Minderwertigkeitskomplex der Deutschen in Cannes. Dass Maren Ade 2016 mit „Toni Erdmann“ als großer Favorit gehandelt wurde und dann gänzlich leer ausging, schien noch mal eine Bestätigung. Und dann das: Eine schwedisch-deutsche Coproduktion gewinnt die Goldene Palme.
Und Diane Kruger (40) wird für ihre Darstellung im NSU-Drama „Aus dem Nichts“ von Regisseur Fatih Akin als beste Schauspielerin ausgezeichnet – als erste Deutsche, seit Barbara Sukowa 1985 den Preis für „Rosa Luxemburg“ gewann. Patrick Heidmann hat die Darstellerin, die in Niedersachsen geboren ist und heute überwiegend in den USA und Frankreich lebt, in Cannes getroffen.
Frau Kruger, Gratulation. Wie geht es Ihnen nach diesem Erfolg?
Diane Kruger: Ich bin unheimlich stolz. Und freue mich so, dass ich den Preis für meinen ersten deutschen Film bekommen habe. Diese Rolle ist einfach das Beste, was mir in meinem Leben bislang passiert ist. Mit Fatih zu arbeiten, war lange mein Traum.
Das sind die Gewinner von Cannes
Sie arbeiten in der Tat seit 15 Jahren als Schauspielerin. Aber „Aus dem Nichts“ ist Ihr erster Film, den Sie in Ihrer deutschen Heimat gedreht haben. Warum hat das eigentlich so lange gedauert?
Kruger: Ich war 15 Jahre alt, als ich aus Deutschland weggezogen bin. Damals war ich noch lange keine Schauspielerin. Ich hatte nie irgendwelche Verbindungen in die deutsche Filmszene. Ich habe dort nicht einmal einen Agenten. Doch dann war ich vor Jahren Jury-Mitglied in Cannes und bin eines Abends zur Party von Fatih Akins Film „Müll im Garten Eden“ gegangen. Dort habe ich ihm gesagt, dass ich gerne mal mit ihm arbeiten würde.
Warum gerade Fatih Akin?
Kruger: Fatih und seine Filme waren mir ein Begriff, lange bevor ich Schauspielerin wurde. Seine Filme haben meiner Generation ihren Stempel aufgedrückt.
Ursprünglich hatte Akin die Rolle in „Aus dem Nichts“ für einen Mann geschrieben.
Kruger: Das stimmt, aber nachdem das Projekt eine Weile auf Eis lag, hat er das Drehbuch umgeschrieben und hatte dann wohl mich im Sinn. Ich finde das fantastisch, denn daran zeigt sich, was für ein Frauen-Fan Fatih ist. Er ist Familienmensch durch und durch und hat den größten Respekt für seine Frau, die ganz eindeutig der Anker seines Lebens ist. Für Fatih sind alle Mütter Superheldinnen. Es wundert mich kein bisschen, dass es ihm gelungen ist, eine solch komplexe, abgründige Frauenfigur zu kreieren. Das schafft nicht jeder Mann.
Staraufgebot beim Filmfestival in Cannes
Glauben Sie, dass Filme wie dieser ein Zeichen dafür sind, dass die Zeiten langsam vorbei sind, in denen gute Rollen für Frauen Mangelware sind?
Kruger: Vorbei sind die noch lange nicht. Es gibt immer noch so viel weniger starke, komplexe Frauenfiguren, als es geben sollte. Da liegt noch ein langer Weg vor uns.
Sie selbst haben auf jeden Fall lange gewartet auf eine Rolle, die Ihnen schauspielerisch so viel abverlangt, nicht wahr?
Kruger: Definitiv. In diesem Fall kam wirklich ganz viel zusammen. Der Film ist für mich wirklich eine sehr persönliche Angelegenheit, er bedeutet mir unglaublich viel. Ich bin sehr dankbar, dass Fatih das Risiko eingegangen ist, mich zu besetzen, und mir die Gelegenheit gegeben hat, meine Komfortzone zu verlassen. Genauso dankbar bin ich dafür, dass wir nach Cannes in den Wettbewerb eingeladen wurden, denn das ist für einen Film wie diesen keine Selbstverständlichkeit. Eine solche Geschichte wird natürlich immer kontrovers aufgenommen. Einen besseren Einstand hätte ich mir für meinen ersten deutschen Film nicht wünschen können.
Apropos Kontroversen: Grundlage des Films sind die NSU-Morde und der noch immer laufende Prozess. Wie vertraut waren Sie damit, wo Sie doch gar nicht in Deutschland leben?
Kruger: Ich verfolge natürlich auch Nachrichten aus Deutschland, aber vertraut wäre in diesem Fall sicher das falsche Wort. Denn tatsächlich ist der Fall in den USA oder Frankreich, wo ich lebe, nicht annähernd so präsent. Aber was mich so interessierte an diesem Film, war die Tatsache, dass der wahre Fall eigentlich Nebensache ist. Die Geschichte wäre kaum eine andere, wenn sie in Amerika oder Frankreich spielen würde und der Bombenanschlag nicht einen Neonazi-, sondern einen dschihadistischen Hintergrund hätte. Die Geschichte selbst ist universell und handelt von den Menschen, die nach einem Terrorakt zurückbleiben.
Fragen Sie sich bei einer Rolle wie dieser, ob Sie in einer ähnlichen Situation genauso handeln würden?
Kruger: Puh ... Natürlich habe ich drüber nachgedacht, aber das ist für mich unmöglich zu beantworten. Ich habe ja keine Kinder und noch nicht einmal einen Ehemann.
Machte Ihnen der Film Angst?
Kruger: Ohne Frage. Aber dann habe ich einige der Opfer der NSU-Anschläge persönlich getroffen – und das hat alles geändert. Ich habe gemerkt, dass ich genug Empathie habe, um zumindest ein kleines bisschen diesen niemals endenden Schmerz nachempfinden zu können.
In Ihrem Alltag sprechen Sie kaum Deutsch. Wie groß war die Umstellung, jetzt in dieser Sprache zu arbeiten?
Kruger: Na ja, in der ersten Woche zurück in Deutschland hat Fatih ab und zu mal geschimpft, weil mir mal wieder das richtige Wort nicht einfiel. Aber trotzdem ist Deutsch ja meine Muttersprache, und die kommt immer wieder zurück. Französisch ist letztlich viel schwieriger für mich.
Tatsächlich? Es ist die Sprache, in der Sie die meisten Filme gedreht haben?
Kruger: Ja, einfach weil ich es nie in der Schule gelernt habe. Sondern nur in der Praxis, vor Ort in Paris. Es gibt bis heute noch französische Worte, die ich irgendwie nicht wirklich über die Lippen bringe.