Benneckenstein. Regisseur Janek Liebetruth inszeniert eine beklemmende „Hexenjagd“. Das Stück stammt von Arthur Miller.

Dem Status des Geheimtipps ist das Theaternatur-Festival in Benneckenstein längst entwachsen. Jetzt setzt Leiter Janek Liebetruth noch eins drauf. Mit „Hexenjagd“ von Arthur Miller legt er als Regisseur eine großartige Inszenierung vor. Ihm gelingt es, zum Kern der Massenhysterie vorzudringen. Wenn es so weitergeht, dann wird das Festival auf der Waldbühne bald zum Pflichttermin für zeitgenössisches Theater.

Miller veröffentlichte sein Werk über eine Massenhysterie in Neuengland 1692 im Jahre 1953. Damals wütete in den USA der Ausschuss für unamerikanische Umtriebe unter dem Senator Joseph McCarthy. Künstler, Intellektuelle und Gewerkschafter standen unter dem Generalverdacht, Propaganda für die kommunistische Partei zu betreiben. Viele Angeklagte wanderten ins Gefängnis, selbst Größen wie Charlie Chaplin wurden aus dem Land getrieben.

Deutliche Kritik an der Zeit

Mit „Hexenjagd“ übte Miller deutliche Kritik an der Zeit. Die Parallelen zu jenen berüchtigten Prozessen im puritanischen Neuengland des 17. Jahrhunderts waren offensichtlich. Neid und Missgunst und eine Verleumdung reichten aus, um unbescholtene Menschen auf das Schafott zu bringen und Familien ins Elend zu stürzen.

Liebetruths Inszenierung macht deutlich, dass die Zeit nicht die Rolle spielt. Es braucht nur eines Klimas der Verunsicherung und der Angst, um Dinge in Gang zu setzen, die schnell außer Kontrolle geraten. Ob nun 17., 20. oder 21. Jahrhundert, die Mechanismen sind die gleichen. Goethes Weisheit von den Geistern, die man rief, drängt sich auf.

Personifiziert ist dieser Kontrollverlust in der Rolle von John Hale. Vom Hexenverfolger wandelt sich der Pastor zum Bremser, doch der Zug ist schon zu schnell, um noch gestoppt zu werden. Mit ihm scheitern der gesunde Menschenverstand und die christliche Barmherzigkeit.

Treffend verkörpert wird Hale von Gerrit Neuhaus. Letztes Jahr noch als Wüterich in Schillers Räubern unterwegs setzt er in dieser Aufführung vor allem die leisen Töne. Mit zurückhaltenden Gesten, schmalem Körper und gezielter Sprache sorgt er für die Achtsamkeitsmomente in dieser Inszenierung. Jedes Wort ist wohl gesetzt und wichtig.

Überhaupt ist diese Inszenierung Sprechtheater im besten Sinne. Liebetruth legt den Schwerpunkt auf das gesprochene Wort und verzichtet auf Aktionismus. Selbst in den dramatischen Szenen erspart er dem Publikum überflüssige Hektik. Damit setzt sich diese Inszenierung einen Kontrapunkt zu den hyperaktiven Räubern des Vorjahres.

Meister der Raumaufteilung

Überhaupt zeigt sich Regisseur Janek Liebetruth als Meister der Raumaufteilung. Jeder steht dort, wo er oder sie hinzugehören scheint. Die einzelnen Darsteller gliedern den großen leeren Raum, sie schaffen Übersicht und Fronten und positionieren sich wie die Figuren eines Schachspiels. In diesem Spiel kommt John Proctor die Rolle des weißen Königs zu. Wertefest und linientreu wird er von Philip Wilhelmi auf die Bühne gebracht. Die selbstbewusste Haltung mit raumgreifenden Gesten wird im Laufe der Aufführung immer kleiner und der Zusammenbruch in der vorletzten Szene macht seine Niederlage umso deutlicher. Nur die feste Stimme steht noch für die Überzeugung.

In der Rolle das Nathaniel Williams ist Karl Schaper Gegenpol und Widerpart. Mit dem Austausch der Abigail durch eben jenen Nathaniel zieht Liebetruth eine zusätzliche dramatische Ebene ein. Die homoerotische Beziehung zwischen Proctor und Williams verleiht dem Stück wieder jene Brisanz, die es einst in den prüden 1950er Jahren hatte. Aber der junge Mann ist alles andere als ein Sympathieträger, und Schaper kann dies bestens umsetzen. Unsteter Blick, eingezogene Schulter und eine Stimme stets an der Grenze zur Hysterie zeigen die Anspannung des Intriganten, der weiß, dass er Falsches tut, aber nicht anders kann.

Das Bühnenbild von Hannes Hartmann wirkt auf den ersten Blick recht reduziert: Eine grau-braune Spielfläche, die mit einem weißen Keil asymmetrisch geteilt ist. Darauf lediglich ein paar orange Plastikstühle, ein Tisch und ein Schreibtischsessel. Wer diesen besetzt, der ist im Besitz der Macht, hat das Heft des Handelns in der Hand.

Rückwand als Projektionsfläche

Die Rückwand dient als Projektionsfläche für Twitter-Kommentare und Fake-News. Das Internet ist vom Vorreiter der Aufklärung in den 1990er Jahren zur Hetzmaschine der 2010er Jahre geworden. Liebetruth macht die Motive und Mechanismen der Verleumdung deutlich und zeigt, dass die Postmoderne noch perfidere Mittel hat als die Vergangenheit.

Diese Rückwand trägt wesentlich zur Dramatisierung bei. Nach dem ersten Akt rückt sie nach vorne, verengt den Spielraum deutlich und sorgt für Beklemmung. Gleiches gilt für den Schluss des zweiten Aktes, es wird noch enger. Als am Ende der Aufführung die Situation außer Kontrolle gerät, steht die Rückwand an der Rampe und schubst Darsteller und Requisiten in den Abgrund. Einfach ein starkes Bild.