Göttingen. Lotario, diesjährige Oper bei den Händel Festspielen in Göttingen, feierte Premiere im Deutschen Theater.

Fantastische Bilder, ein Festspielorchester auf Weltniveau, exzellente Solisten und ein mächtiges Bühnenbild: Das ist Lotario, die Oper bei den Händel Festspielen in Göttingen. Nach dem Motto „Erwartungen weit übertroffen“ gab es am Freitag bei der Premiere im Deutschen Theater „standing ovations“.

Es ist durchaus mutig, Lotario auf den Spielplan der Festspiele zu setzen. Die Oper gilt als eines der schwächeren Stücke von Händel. Sie ist ein Produkt der Händelschen Krisenzeit, die das Theater der Nacht im letzten Jahr mit „Händels Hamster“ so genüsslich aufbereitet hat. Das Londoner Publikum hat sie seinerzeit schlicht und einfach durchfallen lassen.

Die Erfolgskomponenten

Es zeugt von einem gesunden Selbstbewusstsein, wenn sich Regisseur Carlos Wagner dieses selten gespielten Stücks annimmt. Der Mut wird belohnt und für den Erfolg bei der Premiere sind viele Komponenten verantwortlich.

Da ist zuerst das Festspielorchester Göttingen, dem David Staff schon vorab Weltklasse bescheinigt hatte. Unter der Leitung von Laurence Cummings bestätigt es diese Vorschusslorbeeren. Auch wenn man das Libretto als schwach bezeichnen muss, so befindet sich Händel bei der Komposition auf einem Höhepunkt seines säkularen Schaffens. Er zieht alle Register der Tonsetzerkunst und vielleicht auch ein oder zwei zu viel. Gerade im ersten Akt reiht sich ein Volte an die andere, Motive werden angedeutet und dann schnelle durch andere ersetzt. Dies ist schon in der Ouvertüre deutlich, als die zarten Streicher vom heroischen Blech übertönt werden. Wunderbar, wie Cummings und sein Orchester diese Übergänge bewältigen.

Der Vorhang öffnet sich und gibt den Blick auf ein beeindruckendes Bühnenbild frei. In zwei Etagen türmen sich die Elemente eines barocken Palastes. Kontrastiert wird der erste Eindruck durch das umlaufende Baugerüst. Die Unordnung auf der Spielfläche lässt eine Assoziation mit Herrscherpracht erst gar nicht zu.

Erst wirkt die Arbeit von Rifail Ajdarpasic wie ein Schauspielverhinderungsbühnenbild. Doch durch die Verknappung der Spielfläche entsteht ein klaustrophobischer Eindruck, der die Handlung noch einmal verstärkt. Es ist ein Käfig, eine Arena, in der Lotario auf Matilde und auf Berengario losgehen wird. Ajdarpasic trägt damit einen großen Teil zum gelungenen Gesamtbild dar.

Möglich wirkt die aber erst durch das Lichtdesign von Guido Petzold. Er versteht es, die Stimmungen zu verstärken und dem Bühnenbild etwas von seiner Mächtigkeit zu nehmen.

Lotario fällt auch in die Kategorie „Dramma per musica“, doch gerade im ersten Akt ist von Drama wenig zu spüren. In unzähligen Schleifen wiederholen die Sänger ihre Texte zu immer neuen musikalischen Variationen. Händel scheint hier etwas verliebt zu sein in die eigenen Ideen.

Regisseur Carlos Wagner versteht es, diese Lücken durch beeindruckende Bilder zu schließen. Im Präludium reicht Idelberto dem König von Pavia einen Gifttrank im goldenen Becher. Genau diesen Becher reicht die unterlegene Matilde zum Schluss dem Sieger Lotario. Das ist der letzte Blick durch den sich schließenden Vorhang. Hier weist die Inszenierung einmal über die Vorlage hinaus und gibt Raum frei für die Spekulation, wie lange Lotario sich wohl auf dem Thron halten wird.

Wagner variiert seine Bilder wohl gern. Den ersten Akt beschließt die heiß begehrte Adelaide in der Positur des Gekreuzigten, den zweiten Akt eröffnete der Intrigant Berengario in eben dieser Stellung und sein Sohn Idelberto ist gleich zweimal in dieser Haltung zu sehen.

Ganz untypisch hat Händel die Zahl der Akteure stark beschränkt. Sechs Handelnde kreisen hier umeinander. Es ist fast schon ein Kammerspiel mit Musik. Dies rückt natürlich die Leistung der einzelnen Sängerinnen und Sänger stärker in den Fokus.

Marie Lys in der Rolle der Adelaide überrascht wieder mit enormem Volumen in ihrem Sopran. Die zahlreichen Koloraturen meistert sie, und ihr Duett mit Sophie Rennert als Lotario am Ende des ersten Aktes gehört zum Höhepunkt dieser Aufführung. Das ist Liebe aus tiefstem Herzen.

Es ist schade, dass Todd Boyce in der Rolle des Clodomiro nur wenige Gelegenheiten hat, sich auszuzeichnen. Sein Bariton hat eine ganz eigene Prägnanz und in den wenigen Koloraturen zeigt er, was in ihm steckt.

Doch die bestimmende Person der Inszenierung ist Ursula Hesse von den Steinen. Sie macht die Matilde so sehr bestimmend, dass man die Oper nach ihr benennen möchte. Das schafft die gebürtige Kölnerin durch eine enorme Bühnenpräsenz und viel dramatisches Potenzial und durch ihre Stimme. Ihr Mezzosopran ist durch ungewöhnlich tiefe Töne geprägt, die ihm einen dunklen Klang geben. Deswegen ist sie für die Rolle der Intrigantin Matilde wie geschaffen.

Lotario auf den Spielplan der Göttinger Festspiele zu setzen, ist durchaus ein Wagnis. Mit dieser Inszenierung hat sich das Risiko gelohnt.