Braunschweig. In Gilbert Holzgangs neuestem Theaterstück über die Kunstvermittlerin geht es diesmal um die ganz private, ganz intime Lebensbilanz.

Diesmal ist sie ganz allein. Nach drei Theaterstücken über die aus Braunschweig stammende, in Hollywood reüssierende Kunstpromoterin Galka Scheyer, in denen die gesellschaftlichen Hintergründe ihres Wirkens zwischen zwei Kriegen ausgebreitet wurden, geht es in Gilbert Holzgangs jüngstem Stück diesmal um die privaten Gefühle der Emigrantin kurz vor ihrem Tod. Grundlage sind die Tagebücher ihres Todesjahres 1945, die Holzgang nach einem Hinweis des Forschers Andreas Platthaus einsehen konnte. „Eigentlich hatte Galka in ihren letzten Jahren all ihre Tagebücher systematisch selbst verbrannt. Dieses letzte blieb erhalten, weil sie es ihrer Freundin Lette Valeska für einen biografischen Artikel zur Verfügung gestellt hatte“, erläutert Holzgang.

Autor Gilbert Holzgang vor einem Gemälde von Galkas Braunschweiger Malerfreund Gustav Leonhard.
Autor Gilbert Holzgang vor einem Gemälde von Galkas Braunschweiger Malerfreund Gustav Leonhard. © Andreas Berger | Andreas Berger

Dieses neue Material, diese neue Perspektive habe ihn auf das neue Stück gebracht, das nun passend zur Galka-Scheyer-Ausstellung im Städtischen Museum herauskommt, allerdings im Theatersaal des Gliesmaroder Thurms. Ihn habe es immer fasziniert, wie diese körperlich gar nicht so große, eher ein bisschen pummelige Frau aus der deutschen Provinz, die anfangs jahrelang als Kindermädchen arbeitete, ihren Traum von der Kunst umgesetzt hat: „Sie hat selbst gemalt, dann die vier großen expressionistischen Maler Jawlensky, Klee, Kandinsky und Feininger als Blaue Vier gefördert und nach ihrem Wechsel in die USA erfolgreich vermarktet. Dort hat sie es bis zu einem traumschönen Haus auf den Hügeln von Hollywood gebracht, in dem sie Marlene Dietrich und Greta Garbo besuchten – getrennt voneinander“, erzählt der Braunschweiger Dramaturg, der auch die jüngst erschienene großformatige Biografie über Galka Scheyer recherchiert und geschrieben hat.

Schwere Krebserkrankung und neue Liebe

„Aber ihre Braunschweiger Jahre, ihre nicht reibungslosen Beziehungen zu den vier großen Malern, das haben wir in den drei vorangegangen, personenreichen Stücken behandelt. Jetzt geht es um die zwei letzten Jahre, 1944/45, als sie eine schwere Krebserkrankung nicht mehr wie anfangs ignorieren kann, als aber auch ihre erotische Beziehung zu dem verheirateten Kunstsammler Walter Arensberg wieder aufflammt.“

Auch die Form ist diesmal intim: ein Solo-Stück. Galka in ihrer Wohnung, die Briefe schreibt, Tagebücher liest, Musik hört. Verkörpert wird sie von Kathrin Reinhardt, die auch im vorletzten Galka-Stück schon die Rolle der Kunstvermittlerin übernommen hatte. Die erfahrene Charakterdarstellerin ist vielen noch aus dem Staatstheater-Ensemble von Wolfgang Gropper in Erinnerung, bei dem sie Tschechow, Ibsen – und Sally Bowles in „Cabaret“ spielte.

Nur Originaltexte aus Briefen und Tagebüchern

„Entstanden ist ein innerer Monolog - Galka Scheyer, ganz allein - wie ja auch der Stücktitel lautet“, erzählt Holzgang, der dabei an literarische Vorbilder wie Schnitzlers Fräulein Else oder Molly in Joyces „Ulysses“ denkt. Aber wie immer nutzt er nur Galkas originale Texte, also aus den Tagebüchern des letzten Jahres und Briefen. Holzgang hat dafür die Genehmigung des Archivs und der Nachfahren (der Kinder ihrer zwei Brüder) eingeholt. „Ich habe die Tagebucheinträge aber assoziativ arrangiert, damit sie ein Thema oder eine Beziehung nachvollziehbar umreißen.“

Als Galka damals ihre alten Tagebücher vor dem Verbrennen noch mal las, habe sie auch immer wieder Teile extrahiert und in das aktuelle, erhaltene Tagebuch übernommen. Oder in Briefe, etwa an Feininger. „Er war der letzte Überlebende der Blauen Vier, ihm schrieb sie noch wenige Tage vor ihrem Tod, seine Antwort erreichte sie nicht mehr“, erzählt Holzgang.

Trost in der Musik von Bach bis John Cage

Galkas letzte Tage seien voller Stimmungsumschwünge gewesen, wie die Aufzeichnungen belegten. Da gebe es Depressionen wegen der unheilbaren Krankheit, wegen des Krieges und der natürlich auch finanziell schwierigen Lage. Kaum einer kaufte Kunst. „Und wenn von Partys die Rede ist, um die bei ihr hängenden Werke der Blauen Vier erlebbar zu machen, dann ist das heute ein irreführender Begriff“, meint Holzgang. Die Blumen dafür habe sie auf der Wiese gepflückt, „damals lag ihr Haus noch in der Pampa, ohne geteerter Zufahrtstraße“. Und über die „Billigteilchen“, die sie servierte, hielt sich auch Lette Valeskas Tochter Hella auf. „Es ging ihr immer um die Kunst. Sie brachte andere zum Malen, am liebsten Kinder. Diese Kurse setzte sie bis fast ans Ende fort, das gab ihr Kraft.“

Sie habe lustige Szenen mit Lette und Hella verzeichnet, die Liebe zu Arensberg nochmal intensiv durchlebt. „Und Musik war unheimlich wichtig gerade in dieser letzten Zeit. Viel Bach, viel Beethoven, aber auch Zeitgenössisches, etwa Varèse oder John Cage“, erläutert Holzgang. Den schwulen Komponisten Henry Cowell besuchte sie sogar im Gefängnis, wo er wegen eines damals strafbaren homosexuellen Delikts einsaß, und forderte ihre Freundinnen auf, ihn ebenso zu besuchen, um ihn aufzubauen, er sei dann auch eher freigekommen.

Alleinsein und Lebensbilanz

„Galka wollte immer etwas bewirken, oft mit Erfolg. Über diesen Texten aus den letzten Tagen schwebt etwas wie eine Lebensbilanz, das ist Kathrin Reinhardt und mir auch besonders nahegegangen. Sie starb mit 56 Jahren, so ungefähr unser Alter, da fragt man sich dann auch selbst, was man hinterlässt, wie man enden wird. Ob so ganz allein. ,Dass ich niemanden habe‘, stellt sie unumwunden fest“, erklärt Holzgang. Und dann kommen, auch im Stück, wieder die Malkinder, die Kunst, die Musik.

„Galka Scheyer, ganz allein“. Solostück, 80 Minuten. Premiere 24. April (ausverkauft), wieder am 3., 8., 15., 17., 22. Mai, je 19.30 Uhr, im Theatersaal Gliesmaroder Thurm, Berliner Straße 105. Karten 16, erm. 12 Euro, unter Telefon: (0531) 798398.