Braunschweig. Dunja Jocić fasziniert im Tanzabend „Existential“ am Staatstheater mit dunkler Energie. Sita Ostheimer setzt lichte Dynamik dagegen.

Es ist ein spannendes Stück aus der Nacht unseres Unterbewusstseins, das da im tiefen Schwarz der Bühne und dem Gegenlicht von Scheinwerfern am unteren hinteren Bildrand auftaucht, als leuchte jemand ins Dunkel unseres Herzens. Unter Nebeln arbeitet sich Lucas Roque Machado drahtig hervor, im engen schwarzen Dress wie alle anderen, die nach und nach die Bühne entern.

Die Bewegungen sind ruckhaft, fast wie unter Stromstößen, wie ein druckvoller persönlicher Tic, der kurz ausrastet und dann immer wieder zurück in die Form zwingt. Machado streckt sich bis auf halbe Spitze, sinkt in sich zusammen, erstarkt wieder und wirft sich in einen kraftvollen Pas de deux mit Dariusz Nowak, als rängen zwei Engel der Unterwelt miteinander. Krieger der Nacht, wo im Menschen die Wölfe heulen.

Vibrierende Hände in Dunja Jocićs Stück „18 Below the Horizont“

Die Gruppe kommt im Rhythmus stampfend dazu, zugleich zeigen auch hier die Zuckungen einen Widerstand, der dem Druck des dunklen Raums und der mit indigenen Chören treibend aufgestellten Musik von Michael Gordon entgegenwirkt, aber sich fügen muss, nicht aufzubrechen vermag. So entsteht in Dunja Jocićs Stück „18 Below the Horizont“ eine dauerhafte Spannung, die einen auch als Zuschauenden packt.

Phasenweise verschmelzen die Tanzenden zu einer wabernden Masse, die immer wieder andere Individuen nach oben befördert und erneut verschluckt, wie aus Vulkanöffnungen sich aufbäumendes Magma.

Dann wieder scheint die Energie wie bei Giovanni Fumarolas Solo aus den vibrierenden Händen zu sprengen oder am Köper herabzurieseln. So baut sich am Ende ein drängendes Crescendo auf, das abrupt abbricht.

Zucken unter verunsichernder Bedrängung

Das Stück erscheint so wie ein kurzer Spot in die inneren Triebe, sehr „existential“, wie der Gesamttitel des neuen Tanzabends der Staatstheater-Compagnie lautet, weil sonst verborgene Energien verkörperlichend, damit schon jenseits des Sonnenuntergangs von „18 Below the Horizon“ und tief drin im Untergrund des Canyons, den Michael Gordon musikalisch ausdeutet. Es ist diese verunsichernde, von außen oder von inneren Trieben ausgehende Bedrängung, die fasziniert.

Stilistisch erinnert Jocićs Bewegungssprache an die ruckhaften Bewegungen von Vögeln und Reptilien, die auch zu Marco Goeckes Repertoire gehören, aber auch an die trancehafte Techno-Robotik etwa der Stücke Sharon Eyals, allerdings nicht unter einpeitschenden Beats, sondern in natürlich pulsendem Tempo. Eine starke Handschrift.

Gruppenszene aus „Full Circle“ von Sita Ostheimer im zweiteiligen Tanzabend „Existential“ am Staatstheater Braunschweig.
Gruppenszene aus „Full Circle“ von Sita Ostheimer im zweiteiligen Tanzabend „Existential“ am Staatstheater Braunschweig. © Staatstheater Braunschweig | Leszek Januszewski

Sita Ostheimer geht in ihrem Stück „Full Circle“ quasi den umgekehrten Weg, ihre Bewegungen sind frei flatternd, ungezwungen aufspringend, stets weich im Schwung der Musik von Adrien Casalis liegend. Durch zwei Lichtringe hat Imme Kachel den Raum etwas kosmisch überformt.

Weich schwingend in der Musik bei Sita Ostheimers „Full Circle“

Zu Beginn umfasst ein Ring Mátyás Ruzsom und Miriam Kaya wie Adam und Eva bei der Schöpfung. Während sie sich umarmen, er sie nachher liebvoll hebt, vereinigt sich der Ring mit einem weiteren zu einer Art Heiligenschein über der Bühne, bildet ebenso neue Konstellationen wie die Gruppe, zu der sich das Anfangsbild erweitert hat. Ein Leben, eine Welt geht auf, mit synchroner Choreographie, viel wirbelnden Armen, auch Drehungen auf dem Fuß und sogar Drehsprüngen.

Manchmal lässt eine Tänzerin einfach den Körper nach hinten über baumeln. Manchmal bilden die Jungs eine Gruppe, lassen sich fallen und fangen sich gegenseitig auf. Am Ende findet sich wieder das Paar zusammen unter dem Lichtring. Der Lebenskreis ist ausgeschritten.

Große Harmonie statt Konflikten

Das wird von der Compagnie scheinbar leichtfüßig und locker umgesetzt. Für einen wirklich vollen „Full Circle“ vermisst man aber Konflikt, Trauer, Aggression. Selbst eine wirklich persönliche Beziehungsaufnahme ist nicht zu erkennen. Die Unordnung der kurzzeitig frei auf der Bühne verteilten Gruppe weicht schnell und unproblematisch gemeinsamem und gar synchronem Verhalten. Die Kräfte des Chaos sind nicht zu spüren, es herrscht eine sehr harmonische Gruppendynamik – harmonisch wie ein Kreis.

Viel Applaus für beide Stücke und eine Compagnie, die sich mit Verve in den konträren Stilen bewährt.

Wieder am 21. Januar, 7., 10., 17., 22., 29. Februar, 8., 10., 15., 17., 22. März, 6. April im Kleinen Haus des Staatstheaters.
Karten: (0531) 1234567 und www.konzertkasse.de