Braunschweig. Dagmar Schlingmann will ihren Job im Staatstheater im Sommer 2025 aufgeben und keine neue Intendanz mehr anstreben. Hier ist der Grund:

„Ich habe daraus ja nie eine Geheimnis gemacht“, sagt eine gelöst wirkende Generalintendantin in ihrem Büro. Hinter der Formulierung „private Gründe“ in der Pressemitteilung des Staatstheaters verbirgt sich die Tatsache, dass sie einen behinderten Sohn hat.

Er ist der Grund, warum sie ihre Braunschweiger Intendanz ein Jahr vor Ablauf ihres Vertrages beendet: im Sommer 2025. Während der folgenden Spielzeit soll das Haus von den Spartenleitungen – Musiktheater, Schauspiel, Tanz, Junges, Konzert – künstlerisch eigenverantwortlich geführt werden. Bei der programmatischen Planung der Spielzeit werde sie aber noch dabei sein. Die leitende Koordination soll während dieser Übergangszeit Schlingmanns persönliche Referentin Ellen Brüwer übernehmen, bis 2026 eine neue Intendanz antritt.

Sohn der Braunschweiger Intendantin Schlingmann ist Autist

Schlingmann erläutert: Der Übergang des Jungen ins Erwachsenenleben habe sich schwieriger gestaltet als gedacht. Es sei ein „ziemlicher Schock“ gewesen, nachdem ihr Sohn im vergangenen Herbst die Schule beendet hatte. „Wir hatten gehofft, dass er in einer Werkstatt der Lebenshilfe Arbeit findet. Doch das erwies sich als kaum praktikabel. Er ist ein Autist und deshalb nur schwer gruppenkompatibel.“

Zwar hat sie bis 2025 eine provisorische Lösung bei der Lebenshilfe gefunden und ist dafür auch sehr dankbar: „Die machen das toll.“ Dennoch sucht sie eine stabile Situation für den Sohn – was sich auch nicht einfach darstelle. Wo das sein wird, weiß sie noch nicht.

Aufwärtstrend fürs Braunschweiger Staatstheater

Eine Botschaft ist der Generalintendantin wichtig: „Dies ist wirklich der einzige Grund. Ich bin nicht krank. Ich fühle mich nicht besonders alt. Ich fühle mich sehr wohl hier in Braunschweig. Und ich werde mich in der verbleibenden Zeit kein bisschen rausziehen, sondern den Job 100-prozentig weitermachen. Dann aber möchte – und muss – ich als Mutter meinen Sohn mehr begleiten. Dieser wunderbare Mensch soll die erste Rolle spielen.“

Leicht fällt ihr der Abschied nicht. Nach der Pandemie sieht sie das Theater im Aufwärtstrend. Allerdings möchte sie den beträchtlichen Sanierungsstau auflösen, das Haus in Sachen Nachhaltigkeit und Arbeitgeber-Attraktivität ein Stückweit voran bringen – selbstverständlich bei gleichzeitiger Wahrung eines hohen künstlerischen Niveaus: „Das ist ja mein Job.“

Das sagt Kulturminister Falko Mohrs zum Abschied der Intendantin

Besonders bedauert Dagmar Schlingmann, dass sie die Eröffnung der neuen Jugendspielstätte in der Husarenstraße nicht mehr im Amt erleben werde. „Aber natürlich werde ich kommen!“ Erleichtert hat sie die Reaktion ihrer Mitarbeiter, als sie denen ihren Entschluss mitteilte. „Ich hatte Sorge, ob sie es verstehen werden. Aber das haben sie. Es war sehr rührend. Mir kamen sogar die Tränen.“

Gewürdigt haben ihren Schritt auch andere. Kulturminister Falko Mohrs erklärte: „Sie hat mit ihrem Team das Theater durch die herausfordernde Zeit der Pandemie geführt und mit vielen Aktivitäten dafür gesorgt, dass es in der Mitte der Stadtgesellschaft verankert bleibt.“ Der Minister dankte ihr dafür, durch „rechtzeitiges und transparentes Vorgehen einen guten Übergang auf ihre Nachfolge ermöglicht“ zu haben.

Oberbürgermeister Thorsten Kornblum bedauert Schlingmanns Entscheidung

Braunschweigs Oberbürgermeister Thorsten Kornblum bedauert und respektiert Schlingmanns Entscheidung für die Verkürzung der Amtszeit. Er lobte die „eigene Handschrift ihrer Inszenierungen“ sowie ihr „unermüdliches Engagement“ für Theater und Kultur in der Corona-Zeit.

Eine neue Intendanz will Dagmar Schlingmann nicht anstreben. Inszenieren schon, wenn es sich ergibt. „Ich habe kein Problem mit Langeweile. Ich will viel lesen, auch schreiben.“ Und fügt mit einem Lachen an: „Vielleicht die Theaterstücke, die Sie vermissen.“