Braunschweig. Konzerte für Tieftöner sind die Ausnahme. Im Lessingtheater und in St. Andreas war jetzt eine zu hören. Mit einem ganz jungen Berliner Virtuosen.

Die allermeisten Konzerte wurden für die Violine geschrieben, also das Streichinstrument mit der höchsten Lage. Hohe Töne setzen sich schlechterdings am besten durch, weil sie frei über dem Orchester schweben. Tiefe Töne haben es schwerer mit der Wahrnehmung, akustisch wie aufmerksamkeitsökonomisch. Wer interessiert sich schon für das, was im Keller passiert? Aber sie sind genau so wichtig wie die Hochtöner, mindestens: Auf den Dachgarten kann man verzichten, auf das Fundament nicht.

Gleichwohl lautet das Schicksal der Kontrabässe: Kellerkind. Links liegengelassen von der Komponistenzunft, was solistische Literatur betrifft. Mit wenigen Ausnahmen: eine ist das Kontrabass-Konzert von Sergei Koussevitzky (1874-1951). Koussevitzky war ein russischer Dirigent, Komponist und studierter Kontrabassist, der der Sowjetunion in den 1920er Jahren den Rücken kehrte. Von 1924 bis 1949 leitete er das Boston Symphony Orchestra.

Leonard Stanoschefsky - 17-jähriger Bundessieger spielt Kontrabass-Konzert

Sein Opus 3 für KB und Orchester haben die ambitionierten Laienmusiker des Braunschweiger Louis Spohr Orchesters (LSO) nun bei Konzerten im Lessingtheater Wolfenbüttel und tags darauf, Samstagabend, in St. Andreas Braunschweig aufgeführt. Solist: Leonard Stanoschefsky, ein 17-jähriger Berliner. 2019 und 2022 gewann er den Bundeswettbewerb Jugend musiziert in der Kategorie Kontrabass Solo.

Der junge Virtuose tritt souverän auf im nördlichen Seitenschiff von St. Andreas, wo sich das groß besetzte LSO im Halbrund aufgebaut hat. Die Akustik ist gut, mit Raum, passend für die spätromantischen Werke des Abends, aber nicht zu verhallt. Leider beschneiden die starken Pfeiler zwischen Haupt- und Seitenschiff vielen der gut 300 Konzertbesuchenden die Sicht.

Koussevitzkys Kontrabass-Konzert: Dvorak lässt grüßen

Stanoschefsky streicht bereits einen wunderbar sanglichen Ton, warm, fest und voll. Es klingt wie ein Cello, nur voluminöser und üppiger. Der junge Virtuose spielt überwiegend in hohen Lagen. Aber das sind eben die, in denen auch ein Gutteil des Orchesters unterwegs ist, von den Fagotten über die Celli bis zu den Bratschen. So manifestiert sich Stanoschefskys Kunst nicht wirklich vor, sondern eher im Orchesterklang. Dabei schon präsent, als ein beständiges Movens.

Koussevitzkys Komposition beginnt mit Bläserrufen, die ein wenig an das Finale aus Dvoraks Neunten „Aus der neuen Welt“ erinnern. Nach dramatisch brodelnder Einleitung wird es elegischer, da kommt der dunkle Gesang des Solisten recht gut zur Geltung. Ebenso im melancholischen zweiten Satz, der filmmusikalisch schimmernd dahinfließt. Der neue LSO-Leiter Tobias Rokahr lässt ihn fast nahtlos in den dritten Satz mit wogendem Finale übergehen. Eine Kadenz, in der der Solist noch einmal alle Register seines Könnens ziehen könnte, bleibt aus. Aber Stanoschefsky überzeugt auch so mit technischer Fertigkeit, sattem, sanglichen Ton und Präsenz. Viel Applaus.

Jean Sibelius, eine Herausforderung

Koussevitzkys Kontrabass-Konzert wurde 1905 uraufgeführt, Jean Sibelius‘ 3. Sinfonie 1907. Sie bildet den Übergang von den romantisch-heroischen Frühwerken des Finnen zu komplexeren, herberen Kompositionen. Es gibt keine klare Entwicklung von Themen, mehr eine dynamische Kette von Motiven, mal tänzerisch-folkloristisch, mal rhythmisch drängend, mal dunkel bohrend. Dann wieder hymnische Bläserpracht.

Kontrolliert expressiv: Tobias Rokahr

Tobias Rokahr(51), der hochaufgeschossene Neue am Pult, gebürtiger Wolfenbütteler und Musikprofessor in Hannover, führt das LSO mit klarer, kontrolliert expressiver Körpersprache. Sibelius‘ komplexe klangliche Schichtungen und Rhythmen bewältigt das Orchester kompakt und ziemlich präzise. Im zweiten Satz tritt das seufzend sich wiegende Hauptmotiv in allen Stimmgruppen immer wieder wunderbar hervor. Der dritte bezwingt mit dunkelsüßem Streicherklang und pathetischem Bläserfinale.

Viel Applaus und als Zugabe noch einmal die verkürzte Greensleeves-Fantasia von Ralph Vaughan Williams (1872-1958), eine zauberhafte Romanze.