Bremen. Im Paula-Modersohn-Becker-Museum Bremen setzt sich Louisa Clement mit der Kunst des Digitalen auseinander. Eine KI-Puppe spricht mit den Gästen.

Neulich in der Bremer Böttcherstraße. Man geht immer wieder gern durch die lichten Säle des Paula Modersohn-Becker gewidmeten Museums. Das Mädchen mit der Tröte vor hellen Birkenstämmen, die alte Frau vor den dicken Mohnblumenkapseln, das wunderbare Selbstbildnis der Künstlerin mit dem schwangeren Bauch.

An dem dicken Worpsweder Holztisch im ersten Saal sitzt diesmal schon eine Besucherin. Schwarz gekleidet, schlank, etwas strähniges Haar, so sieht wohl manche Kunstfreundin aus. Diese aber lehnt auffällig reglos am Tisch, die Finger nicht eben natürlich gespreizt. Ein Avatar! Aber was für einer. Setzt man sich zu ihr, richtet sie die Augen auf einen, allerdings leeren Blicks, obwohl sie sich zuwendet, obwohl die Gesichtsmuskeln sich bewegen, die Lider schlagen.

Louisa Clement: „body fallacy 18“, Körperteile, die wider den Anschein zu einer Puppe gehören.
Louisa Clement: „body fallacy 18“, Körperteile, die wider den Anschein zu einer Puppe gehören. © Modersohn-Becker-Museum Bremen | Louisa Clement

Die KI-betriebene „Repräsentantin“ stellt im Museum fragen

Die sogenannte „Repräsentantin“, die die Künstlerin Louisa Clement mit allem Raffinement der Künstlichen Intelligenz (KI) da ins Museum gesetzt hat, kann sogar sprechen. Angeblich soll sie auch auf Fragen reagieren, ein Gespräch führen können. Allerdings kann sie nur Englisch, erläutert die Aufsicht im Raum. Na daran soll’s ja nicht scheitern, obwohl ich mich wundere, dass im Internet deutsche Sprache nicht zur Verfügung steht.

Mein freundliches „How do you do?“, bleibt allerdings unbeantwortet. Auch ihren Namen will sie mir nicht sagen, nicht wie sie sich fühlt, ob sie die Kunst hier mag. Keine Verbindung ins Netz? Dann spricht sie aber doch noch, heißt mich herzlich willkommen, möchte dann aber meine Namen wissen, ohne auf meine Frage geantwortet zu haben. Das wirkt dann doch eher wie die sprechende Puppe aus meiner Jugendzeit, es kommen vorgefertigte Sätze, aber sie geht nicht auf mich ein. KI ist auch nicht immer in Form.

In Glas eingeschmolzenes Giftgas

Vielleicht hat sie noch Anlaufschwierigkeiten an diesem Morgen. An sich habe Clement ihre Repräsentantin mit eigenen biografischen Informationen gespeist, und sie sei lernfähig, heißt es im Text der Sonderschau „human error“, die noch mit weiteren, durchaus spannenden Arbeiten an der Schnittstelle von menschlicher Identität und digitaler Reproduktion aufwartet. Und absolut passend spiegeln sich diese zeitgenössischen Positionen der Selbst- und Menschenwahrnehmung in den großartigen Selbstporträts, die Paula Modersohn-Becker an der 19. Jahrhundertwende immer wieder von sich gemacht hat, um ihre schwierige Position als Künstlergattin und selbst schaffende Künstlerin, als in Worpswede daheim und in Paris zu Hause, als den erdigen Tönen der Landschaft verbundene und in die expressionistische Kontur und Farbgebung aufbrechende Avantgardistin zu reflektieren.

Clement setzt Modersohn-Beckers Moorgräben Fotos von mit Munition verseuchten Tümpeln entgegen. Eine ästhetisch funkelnde, schwarzglänzende Schlackeninstallation entpuppt sich als in Glas eingeschmolzenes Giftgas aus dem Syrienkrieg. 55 Fotos von passbildartig aufgenommenen gesichtslosen Schaufensterpuppenköpfen stehen Modersohn-Beckers knappem Gesichtsporträt gegenüber. 55 eingeschmolzene Identitäten gewissermaßen, auswechselbare Avatare nach DIN-Norm.

Abgetrennte KI-Köpfe rufen nach der Wiederverbindnung mit dem Netz

Clement bleibt aber nicht bei dieser offensichtlichen Kritik stehen. Wenn sie die für Sexpuppen genutzte Körpervorlage zu Bronze-Modeln ausgießen lässt, bekommt der missbrauchte Körper wieder Würde. In knappen Ausschnitten aufgenommene Puppenkörper, wenn man sie erstmal als Körperteile zugeordnet hat, ergeben plötzlich erotische Bilder in einer aus dem Netz bekannten Makellosigkeit. Wem eifern die User eigentlich nach, Avataren? Clement hinterfragt, was echt ist, was Fotoshop. Die Frauenkörper mit den an Gewalteinwirkung erinnernden blauen Flecken und Blessuren sind wiederum nur von ihr bearbeitete und fotografierte Puppenkörper.

Louisa Clement: „human error“, Video zweier rollender KI-Köpfe, die nach Wiederverbindung mit dem Internet schreien
Louisa Clement: „human error“, Video zweier rollender KI-Köpfe, die nach Wiederverbindung mit dem Internet schreien © Andreas Berger | Andreas Berger

Eine der eindringlichsten Arbeiten ist ein Videoloop, in dem zwei von ihren Körpern getrennte KI-Köpfe, man sieht noch das Display am Hinterkopf, über das Spielfeld rollen und unablässig um ihre Wiederverbindung mit dem Internet und ein Reset bitten. Die digitale Fehleranzeige wird zum herz- und geistlosen Schrei nach Leben.

Dazu passt, was schon seit Minuten eine Kinderstimme aus dem Treppenhaus ruft: „Mamma, Handy, Mamma, i-Phone!“ So ist das, wenn Mutti mit den Kids ins Museum geht. Beide sind aber weder im Treppenhaus noch in den Sälen zu finden. Diese realistische Akustikeinlage ist auch eine Soundinstallation von Clement, sozusagen das bitter-komödiantische Satyrspiel der sehenswerten Schau.

Bis 21. Januar, Di.-So. 11-18 Uhr.
Infos: www.museen-boettcherstrasse.de