Braunschweig. Anna Bernreitner inszeniert Puccinis Tosca in Braunschweig als starke Frau, die übergriffige Männer in die Schranken weist.

Die ersten wuchtig in die Arena gehauenen Akkorde des Staatsorchesters machen schon deutlich: Das wird keine Love-Story. Die Handlung von Giacomo Puccinis Oper „Tosca“ steht unter dem drohenden Motiv des Polizeichefs Scarpia, bei dessen Erscheinen in der Kirche sogar die Chöre verstummen und der Mesner zu Boden kriecht.

Aber es wächst der Widerstand. Politisch in Gestalt des Malers Cavaradossi, der sich für den fliehenden Republikaner Angelotti einsetzt, ihn versteckt und selbst unter Folter nicht verrät. Und allgemeingesellschaftlich in Gestalt der Sängerin Floria Tosca, die sich der ständigen Übergriffe des Barons Scarpia zu erwehren lernt. Anna Bernreitners an sich klassische Inszenierung, die am Sonnabend als Openair des Staatstheaters auf dem Braunschweiger Burgplatz Premiere hatte, setzt genau da immer sehr präzise Akzente und findet am Ende sogar einen Weg, dass der weiterhin tragische Schluss etwas weniger hoffnungslos erscheint.

Davide Damiani als Baron Scarpia (Mitte) in der großen Chor-Szene des Te Deums im ersten Akt der Burgplatz-„Tosca“.
Davide Damiani als Baron Scarpia (Mitte) in der großen Chor-Szene des Te Deums im ersten Akt der Burgplatz-„Tosca“. © Staatstheater Braunschweig | Joseph Ruben Heicks

Übergriffig wie Rammstein

Scarpia nimmt sich mit Gewalt, was er begehrt. Und er grabscht an jeder Frau herum. Mal ist es die Marchesa Attavanti, die ihrem Bruder Angelotti in dieser Inszenierung sichtbar Kleider und Schlüssel für die Flucht bringt – schon meint man, Scarpia würde sie mitten im Te Deum nehmen, doch plötzlich wird sie im Sternenmantel allegorisch entrückt. Dann wieder lässt er sich in seinem Büro drei Mädchen im kurzen Hemd vorführen, das hat so Rammstein-Assoziationen. Das Mädchen, das er ausgesucht hat, wird dann mit Wein übergossen und betatscht.

In Tosca aber findet er seine Meisterin. Sie lässt den Mantel an bei Tisch. Doch weil sie die Begnadigung für ihren Geliebten Mario erreichen will, muss sie auch etwas mitspielen. Immer wieder sitzt sein Mund an ihrem Hals. Die Hände überall, treibt er sie durch die Arena, bis sie ihm den Teller vor die Füße pfeffert. Es ist fantastisch, wie Srba Dinic am Pult des spätromantisch wogenden Staatsorchesters die wachsende Spannung musikalisch aufschaukelt. Und wie Aurelia Florian als Tosca Runde um Runde bis in exaltierte Höhen ausbricht, dann aber in weicher warmer Innigkeit ihr Glaubensbekenntnis „Vissi d’arte“ singt - „Nur den Künsten weiht ich mein Leben“. Ganz leise, in sich gekehrt die erste Strophe, füllig und selbstbewusster schon die zweite.

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Rettung aus der Kunst

Und dieses Kunstbekenntnis ertüchtigt sie, auch ganz realistisch. Denn Bernreitner lässt sie derweil in den Scherben des Tellers herumhantieren, und so entdeckt sie wie zufällig das Mordinstrument, das sie trotz der Zusage einer Liebesnacht mit Scarpia für Marios Freilassung von dem Tyrannen befreien wird: Nicht mit einem Messer, mit einer Scherbe tötet sie ihn.

Bernreitners Regie liegt immer ganz genau auf der Musik, und Dinic nutzt orchestrale Momente wie das folgende Nachspiel zu ernsthafter Besinnung, lässt es leiser und wieder laut werden – und dann setzt sich Tosca sehr bewusst auf Scarpias Platz, während im Orchester die kleine Trommel schnarrt: Einmal nun hat die Frau den Sieg errungen.

Schwelgen in Erinnerungen

Davide Damiani gibt dem Scarpia die perfide Nonchalance des brutalen Machtmenschen. Sein charaktervoller Bassbariton klingt geschmeidig anzüglich, wirft sich dann wieder zu herrschsüchtiger Dramatik auf, eine starke Stimme mit gefährlichem Funkeln. Kwonsoo Jeon gibt dagegen den leidenschaftlich-spontanen Maler Mario, verströmt großzügig seinen warm strahlenden Tenor. Besonders das „E lucevan le stelle“ gestaltet er im Angesicht des bereits für ihn geschaufelten Grabes aus schöner Introvertiertheit heraus zu traurigem Schmelz der Erinnerung an bessere Zeiten.

Überhaupt hat es dieser dritte Akt in sich. Dinic lässt die Streicher den Beginn fein ausmusizieren, Morgenstimmung, erfrischt von Daria Michalkovs klarem Hirtengesang. Im Liebesduett begeistern sich Tosca und Mario in wohlklingender Harmonie noch einmal für ihre Fluchtpläne, doch die von Scarpia angeordnete Scheinerschießung ist dann doch eine echte. Tot bleibt er im schwarzen Sand liegen, was sie erst langsam begreift, schmerzlich bäumt sich das Orchester auf.

MItreißende Verzweiflungstöne

Doch auch die Regie hat hier noch einmal einen Höhepunkt: Als der Scherge Spoletta (Matthew Pena) auftaucht, springt Tosca keineswegs in den Selbstmord wie bei Puccini, er will sie erschießen, doch brutal wie sein Ex-Chef, will er sie erst noch vergewaltigen. Dabei aber entwendet sie ihm die Pistole, treibt ihn in die Flucht, das ist eine tolle Idee, die nochmal zeigt, wie wehrhaft Tosca inzwischen geworden ist. Dass sie sich dann doch selbst erschießt, ist der ausweglosen Gesamtsituation geschuldet. Damals siegte gerade die Reaktion. Mitreißende Verzweiflungstöne, dröhnende Orchesterschläge, starker Schluss.

Ava-Maria van Ackers Schiebe-Bodenbild, an dem Mario im ersten Akt noch malt, ist die zeitlos-abstrakte Grundfläche für die klug konkretisierte Regie. Unter Dinic‘ immer wieder anfeuernder Leitung ergänzen Staatstheater-Chor, Extra- und Kinderchor, Zachariah N. Kariithi als eifriger Mesner, Rainer Mesecke als edler Angelotti sowie Sebastian Matschoß (Sciarrone) und Peter Fontaine (Schließer) die herausragende Solistenschar. Starker Applaus und Bravos.

Bis 13. September fast täglich. Karten unter (0531) 1234567 oder www.konzertkasse.de