Wolfsburg. Alice Coopers gut abgehangene US-Supergruppe gibt in der Autostadt Vollgas. Balladen sind offenbar verboten. Mit einer Ausnahme.

Irgendwann wirft jemand aus den vorderen Reihen Johnny Depp eine gar nicht so kleine Gummi-Fledermaus vor die Füße. Und siehe, der malerisch tätowierte und gewandete Weltstar bemerkt sie sogar, nimmt sie an sich und weiß, was auf Rockbühnen damit zu tun ist: Er deutet einen zärtlichen Biss in den Kopf an. Dann reicht er sie Alice Cooper weiter, er muss ja Gitarre spielen, Johnny Depp, Sonntagabend in der Autostadt.

Frontmann Cooper hat so recht keine Hand frei, in der einen ja oft den schwarzen Zeremonienstab mit Silberknauf, in der anderen das Mikro. Mit der greift er sich das Ding jetzt auch. Aber was soll er anfangen mit der Gummi-Fledermaus? Falsche Adresse: Er ist doch Alice Cooper und nicht Ozzy Osbourne, der andere schwarze Magier des Hardrocks, der unbedeutendere, natürlich. Cooper nervt das labbrige Gerät eher, eine Zeitlang hält er es fest, dann lässt er es fallen.

Alice Coopers Gruselgestalten

Seine Supergruppe bratzt derweil einen rasanten Hardrock-Blues, „The Boogieman Surprise“. Der Boogieman entpuppt sich als Gruselgestalt, als untoter Dämon. Surprise, surprise. Ein kleines Schauermärchen zu rabiaten Gitarrenriffs und furiosem Schlagzeug-Geballer. So wie viele Nummern der Hollywood Vampires.

Die Bilderbuch-rockstarmäßig kostümierte Altherrenversammlung von Weltrang pflegt davon ab ein gewisses Konzept: Sie huldigt ihren toten Freunden, also den Legionen von Rock-Hedonisten, die ihr Hedonismus ums Leben gebracht hat. Mit dem Jim-Caroll-Cover „People Who Died“ etwa, das Johnny Depp mit angenehm sonorer, gar nicht druckvoller, aber präsenter Stimme singt. Da überblenden sich auf der mit zahlreichen Projektionen bespielten Riesenleindwand im Bühnenhintergrund Bilder und Namen der Gegangenen, von Jimi Hendrix bis Prince. Fast alles Männer übrigens, bis auf Amy Winehouse und Janis Joplin, wenn wir richtig gesehen haben.

Im Duett: Alice Cooper (links) und Joe Perry.
Im Duett: Alice Cooper (links) und Joe Perry. © Rüdiger Knuth | Rüdiger Knuth

Joe Perry rollt mit Verspätung vom Ritz-Carlton rüber

Eine häufige Todesursache besingt Cooper in „My Dead Drunk Friends“. Während auf der Leinwand goldbrauner Whiskey in Großaufnahme über knackende Eiswürfel fließt, knarzt er: „Ich stehe hier allein / in einer Kneipe voller Geister“. Das spielt auf den Gründungsmythos der Hollywood Vampires an, einen Trinkerzirkel, den Cooper in den 70ern mit Leuten wie Keith Moon und Harry Nilsson unterhielt. Sie sind nicht mehr. Die sieben Vampires gedenken ihrer mit voller Lautstärke.

Cooper, Depp, Aerosmith-Gitarrist Joe Perry und die anderen Rockgrößen sind mit standesgemäßer Verspätung von 45 Minuten vom Ritz Carlton zur großen Lagunenbühne gefahren worden, unsichtbar für die zuvor langsam ungeduldig werdenden 8000 Fans auf dem ausverkauften Autostadt-Freigelände. Wir haben Zeit zu bemerken, dass beim Sommerfestival sonst ja überwiegend jüngere deutsche Pop-Größen auftreten, die fast durchweg einen sehr aufgeräumten Auftritt pflegen. Die Vampires aus Amerika brettern dagegen von Beginn an mit brachialem, durchaus dreckigen Vollgasrock in die Konzern-Vorzeigelandschaft hinein.

Alice Cooper düsteres Augenzwinkern

Drummer Glen Sobel, Bassist Chris Wyse, Keyboarder Buck Johnson und drei Gitarristen machen Druck, Druck, Druck. Nicht schön, aber zeitweise geil und jedenfalls laut. Johnny Depp bearbeitet seine sechs Seiten professionell, was nicht virtuos, sondern bratzig rockig meint, aber schon gut dabei und auch mit einigen rustikalen Soloparts. Er ist nicht der wichtigste Musiker, aber schon der, für den am meisten gekreischt wird, der Über-Star. Wobei sich Altmeister Cooper tapfer mit düsterem Charisma und schwarzgeschminkten Augen zwinkernd an der Unterhaltungsfront behauptet.

Die meisten Soli hat Joe Perry. Der 72-jährige Aerosmith-Gitarrist tritt mit weit geöffnetem Hemd auf. Hinter einem Glitzergebirge von Ketten wird die braungebrannte Heldenbrust sichtbar. Perry gibt den Gitarrengott der alten Schule, mit hinterm Kopf gespieltem Instrumentenfetisch, vorne an der Bühnenkante. Gitarrist Tommy Henriksen rockt meist banddienlich im Hintergrund, gemeinsam mit Depp eher die Grundriffs schiebend. Wer von den Dreien gerade was genau spielt, ist aus dem Gewitter, zu dem noch Bass, Keyboards und Schlagzeug beitragen, nicht immer genau herauszuhören.

Joe Perry beäugt Johnny Depp.
Joe Perry beäugt Johnny Depp. © Rüdiger Knuth | Rüdiger Knuth

Johnny Depps anrührende Würdigung von Jeff Beck

Gut 90 Minuten lang halten die Hollywood Vampires ihren Daueralarm aufrecht, es herrscht offenbar Balladenverbot. Eine Ausnahme ist das folkrockige „You Can‘t Put Your Arms Around A Memory“, die schönste Nummer ihres 2019er-Albums „Rise“, gesungen von Perry. Stark sind auch das Doors-Doppelcover „Five to One/Break on Through“ und die The-Who-Adaption „Baba O‘Riley“. Selbst David Bowies ziemlich abgenudeltes „Heroes“ haucht Johnny Depp dann irgendwie doch wieder Leben ein, während im Hintergrund Bilder vom Mauerfall, aber auch von weltweitem Kriegselend und Hilfsorganisationen über die Leinwand flackern.

Geradezu rührend ist auch Depps Würdigung an den großen britischen Gitarristen Jeff Beck, der im Januar starb. Vergangenes Jahr hatte der damals 78-Jährige noch ein letztes Album herausgebracht, „18“, gemeinsam mit Depp. Es ist übrigens ein ganz tolles Album, ehrlich gesagt besser, weil viel nuancenreicher als die Produktionen der Hollywood Vampires. Die spielen in Wolfsburg nun ein ganz wackeres Instrumental von Beck, Joe Perry an einer beigen Fender-Stratocaster des Meisters, die ihm Depp andächtig überreicht.

Plektren von Johnny Depp zum Anfassen

Dann gehts druckvoll dem Ende zu. Die sieben Superstars scheinen durchaus Spaß bei der Arbeit zu haben. Nach rund 90 unterhaltsamen, lauten Minuten gibt‘s noch den Cooper-Klassiker „School‘s out“, etwas bizarr verwoben mit „Another Brick In The Wall“, obendrauf. Johnny Depp wirft zum Abschied haufenweise Gitarren-Plektren in die Menge. Plektren von Johnny Depp zum Anfassen! Da greift man zu. Allgemeine Zufriedenheit.