Wolfsburg. Sein Pop ist melancholisch, seine Laune blendend, die Band eher unterfordert, die Stimmung sonnig zum Start des Autostadt-Festivals.

Schon nach dem zweiten Song sucht Max Giesinger das Bad in der Menge. Schüttelt Hände, klopft Schultern, posiert für Selfies mit Fans. Und erzählt drauflos: „Wir sind aus der Bahn ausgestiegen und haben gedacht, ist ja wie Mallorca hier, super Wetter,Wolfsburg die Urlaubsstadt, und so viele Leute da, toller Abend.“ Mindestens einmal habe er schon in Wolfsburg gespielt, 2017 oder so, im Hallenbad (ein weiterer Auftritt 2019 beim IG-Metall-Sommerfest hat sich ihm offenbar nicht so eingebrannt). „Ins Hallenbad passen um die 600 Leute rein, oder?“, plaudert der Sänger weiter. „Jemand hier, der damals da war? Da vorn ist doch Uwe, mit dem ich damals einen getrunken hab‘.“

Und so munter weiter, und so lustig fort. Max, der jungenhafte Deutschpopstar zum Anfassen. Weißes Hemd, schwarze Hose, Silberkettchen, Sieben-Tage-Bart, Wuschelhaar, fein geschnittenes Gesicht. Immer einen kessen Spruch auf den Lippen, nett selbstironisch, als er bei der Rückkehr auf die Bühne auf der Autostadt-Piazza über eine Absperrung purzelt. Briefe von Backfischen in der ersten Reihe holt er sich charmant persönlich ab. Der Sonnenschein in Person.

Das Strickmuster zartbitterer Melancholie

Außer in seinen Liedern. Da leidet Max oft, oder seine Mitmenschen, die junge Mutter etwa aus seinem Hit „Wenn sie tanzt“. „Ne ganz normale 50-Stunden-Woche / Heim kommen / und erst mal für die Kleinen kochen.“ Später „fragt sie sich / wie‘s gelaufen wär‘ / ohne Kinder / Selber laufen lernen / aber ihr Tag lässt keine Pause zu.“ Dann löst sich die zartbittere Melancholie der Strophe im euphorischen Refrain „Und wenn sie tanzt, ist sie woanders“ auf.

Schöne Nummer, und irgendwie so rund, dass eine Menge Giesinger-Songs nach demselben Erfolgsrezept gebacken sind. Etwa „Das Wunder sind wir“ aus seinem aktuellen Album „Vier“, mit dem er vor gut 8000 Sommerfestival-Premierenbesuchern loslegt. Hier leidet der Sänger allerdings an sich selbst: „Ich bin ständig außer Atem / Ich komm nicht hinterher / Und diese gottverdammten Zweifel / schlagen langsam auf mein Herz / Reise an die schönsten Orte / und bin am Ende doch nicht da.“ Schon schlimm. Also ausgepolstert mit sanften Synth-Sounds, dezenten Gitarren, mollig wärmenden Harmonien und hymnischem Sehnsuchts-Refrain.

Deutschpopstar zum Anfassen: Mehrfach nahm Max Giesinger bei hochsommerlichen Temperaturen ein Bad in der Menge.
Deutschpopstar zum Anfassen: Mehrfach nahm Max Giesinger bei hochsommerlichen Temperaturen ein Bad in der Menge. © regios24 | Lars Landmann

Autostadt-Mallorca röstet in der Juli-Sonne

So geht das weiter im in der Julisonne röstenden Autostadt-Mallorca. Mit „Legenden“: „Der Morgenkaffee schnell im Stehen / Durch das Häuserschluchtengrau der Straßen gehen / Dieselben Leute wiedersehen, tagein, tagaus / Und abends noch ne Runde drehen.“ Giesinger tigert über die große „Lagunenbühne“, kuschelt seine angenehm angeraute Stimme auf den samtigen Soundteppich, den seine Band ihm webt. In seinen Songs hadert er mit sich und der Welt, träumt vom Aufbruch oder schaut nachdenklich zurück, eingebettet in kantenfreien Weltschmerz-Poprock.

Aber kaum neigen sich die samtigen Nummern ihrem Ende zu, ist der 34-jährige Frontmann schon wieder bestens aufgelegt und am Plaudern. „Es macht tierisch Bock mit euch, ihr seht super aus, ist das immer so toll hier in Wolfsburg?“ Später unterbreitet er weitläufig, wie er nach seinem einstigen Castingshow-Teilerfolg, vierter Platz in der ersten „Voice of Germany“-Staffel 2011, Schwierigkeiten hatte, eine Plattenfirma zu finden. Wie er stattdessen ein Crowdfunding ins Leben rief, um mit Dutzenden Wohnzimmerkonzerten Geld für seine erste Albumproduktion zu erspielen.

Max Giesinger - singen kann er auch.
Max Giesinger - singen kann er auch. © regios24 | Lars Landmann

Man nimmt‘s dem Max nicht krumm

Gitarrist Steffen Graef schaut ihn schräg an. Giesinger stutzt. „Moment mal, ich erzähle das alles, obwohl der Song dazu jetzt ja noch gar nicht kommt. Deshalb schaust du so schräg!“ Die Menge schmunzelt, nimmt‘s dem Max nicht krumm, im Gegenteil. Er widmet sich ihr ja auch ausführlich, ist nahbar, klettert am Ende der knapp zweistündigen Show sogar aufs Dach des Mischpult-Turms, um von dort weiter zu singen. Sein Blick schweift über 1500 Fans, die in einem abgezäunten Bereich direkt vor der großen „Lagunenbühne“ stehen, und über gut 6500 weitere, die die Piazza füllen, ohne dass es zu eng wird.

Die meisten fühlen sich gut unterhalten, und Giesinger demonstriert ja wirklich Spaß und Einsatz, vor allem zwischen und um die Songs herum. So recht bekommt man diesen Bühnen-Zampano und sein gefühliges lyrisches Ich in den schmachtenden Liedern allerdings nicht überein. Okay, es ist wirklich heiß und hell, keine Chance, mit einer intensiven Lichtshow zu punkten. Vielleicht entwickelt sich Giesingers Gastspiel auch deshalb weniger zu einem packenden Rockkonzert als zu hochsommerlichem Musikentertainment mit einem volksnahen Frontmann samt fähiger, aber eher unterforderter Band.

Locker an der Bühnenkante

Zwischendurch kommen die Musiker auch mal zu einem halbakustischen Set an der Bühnenkante zusammen. Es gibt einen Karaoke-Block: Fans ziehen Zettel mit Titeln aus einem Beutel, den Giesinger persönlich herumreicht, und dann werden die Songs aus dem Stand gecovert, Cindy Laupers „Girls Just Want To Have Fun“ und Klaus Lages „1000 und 1 Nacht“ in diesem Fall - Chapeau. Giesinger zeigt en passant, dass er auch am Piano und an der Gitarre was drauf hat. Die können schon alle was musikalisch, der Frontmann und sein Band, aber darauf legen sie bei ihrer Sommerfestival-Auftaktshow nicht den stärksten Akzent. Die sonnige Stimmung auf der Piazza trübt das nicht. In Giesingers Vorprogramm hatte schon der sympathische Lübecker Singer-Songwriter Florian Künstler für seine gefühligen deutschsprachigen Akustik-Balladen freundlichen Applaus geerntet.

Das Sommerfestival der Autostadt mit mehr als 20 Konzerten nationaler und internationaler Popstars läuft noch bis zum 20. August. Karten à 25 Euro gibt es u.a. noch für No Angels, Lord of the Lost, Gregor Meyle und Calum Scott.