Wolfenbüttel. Das Schloss-Museum Wolfenbüttel lockt mit barocken Corallenwaren, wie sie einzig in Braunschweig hergestellt wurden.

250.000 Glasperlen ergeben einen Papagei. Die winzigen streichholzkopfgroßen Perlen mussten auf feine Schnüre gezogen und dann so verlegt werden, dass sich auf der stattlichen Schreibtischplatte aus dem Rokoko das plastische Bild eines stolz seine Flügel ausbreiteten Papageis ergibt. Sitzend in einem barocken Rankengeflecht, umrahmt von einer goldenen Kartusche. Auch diese, die ganze Fläche sind aus diesen kleinen Glasperlen zusammengesetzt.

Tischplatte mit barocker Gartenarchitektur aus Glasperlen.
Tischplatte mit barocker Gartenarchitektur aus Glasperlen. © Andreas Berger | Andreas Berger

Zu bestaunen sind diese Kunstwerke der Braunschweiger Corallenfabrik van Selow zurzeit in der Sonderausstellung „Coralle, Perle, Papagei“ im Schloss-Museum Wolfenbüttel. Wer für Barock und meisterliches Kunsthandwerk etwas übrig hat, sollte sich die aparte kleine Schau nicht entgehen lassen. Zumal nicht nur die Prachtstücke aus den Sammlungen des Städtischen Museums Braunschweig und des Herzog-Anton-Ulrich-Museums gezeigt werden, sondern auch zahlreiche Leihgaben aus Privatbesitz. Wie eben jener Schreibtisch, der im Übrigen beidseitig mit Beinfreiheit und Schubladen ausgestattet war und somit auch mitten im Raum und von zwei Seiten zu nutzen war.

Papageien aus Zehntausenden kleinen Perlen

Die Platten der kleineren Tee- und Kaffeetische kamen mit 20.000 bis 40.000 Perlen aus, zeigen aber auch ganze barocke Gartenarchitekturen und nicht minder prächtige Papageien in allen Farben. Der exotische Vogel war ein Modetier der Barockzeit, wurde schon damals auch in Käfigen gehalten und passte eben so gut zu den exotischen Getränken wie Mokka, Tee und Kakao, mit denen der reiche Adel seine Weltläufigkeit unterstrich. Auch Schmuck- und Tabaksdosen sowie Spielkartenetuis wurden gern mit Glasperlendekor oder -bildern verfeinert.

Nun sind diese Perlentische und Corallenwaren tatsächlich eine Kuriosität, die nur in Braunschweig hergestellt wurde. Eine pfiffige Geschäftsidee des vermutlich aus Amsterdam zugewanderten Fabrikanten Johann Michael van Selow, die dem unternehmerfreundlichen Karl I. gerade recht kam. Der Herzog gründete selbst Spiegelglashütten, Erzbergbau und die Fürstenberger Porzellanmanufaktur, förderte Stobwassers Lackdosen, das Silber- und Möbelhandwerk.

Besondere Akzente aus Schneckenhäuschen

Prächtig: ein Papagei aus Perlenschnüren aus der Sammlung Herzog Anton Ulrichs.
Prächtig: ein Papagei aus Perlenschnüren aus der Sammlung Herzog Anton Ulrichs. © Herzog Anton Ulrich-Museum, Braunschweig | Kathrin Ulrich

Die 1755 gegründete Braunschweiger Corallenwarenfabrik hatte mit dem Meerestier Koralle nichts zu tun, man dachte dabei auch nicht an die Materialähnlichkeit mit den Glasperlen. Vielmehr leitete sich der Begriff vom niederländischen „Kralen“ ab, was alle Art von Perlen umfasste. Und, naja, wie Perlen mochten die durchbohrten Glassteinchen schon aussehen. Es gab sie in allen Farben, auch gern schimmernd oder etwas lichtdurchlässig wie Perlmutt. Zudem länglich als Stabperlen und farbig gestreift als Chevron-Perlen.

Workshop statt Revolution

An einer Tischplatte ist das Glasperlenbild mit kleinen echten Schneckenhäuschen gerahmt. Kombinationen mit allem, was glänzt, waren immer denkbar. Bezogen wurden die Glasperlen von van Selow bereits fertig aufgeschnürt aus den Niederlanden oder Venedig, dessen Muranoglas berühmt war und ist.

Perlenschnüre mäandern über den Tisch

Die Schnüre wurden dann in die mit Kitt bestrichene Platte oder Gefäßwand gedrückt – gemäß Dekor- oder Bildvorlagen, von denen man aber nicht so recht weiß, wie sie übertragen wurden. Man konnte ja nur grobe Linien in den Kitt schneiden. Umso faszinierender ist es zu sehen, dass Körperlichkeit und Perspektive sehr realistisch eingefangen werden, etwa durch dunklere Perlen für Schatten und mäandernde Binnenstrukturen.

So werden die Perlenschnüre selten linear verlegt, sondern bilden meist Wellen und Schlingen, was den Bildern einen bewegten Eindruck gibt. Sieht man doch mal bloß waagerechte Linien, etwa auf der Platte mit dem Niedersachsenross, wirkt das gleich langweiliger.

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Eindrucksvoll sind nicht nur die herrlichen farbenprächtigen Papageientische, es gibt auch zwei Papageienplastiken zu bestaunen, die rundherum mit Perlen überzogen sind. Ein Unikat ist auch die Tischplatte mit Bär und Bärenbändiger, da spiegelt sich sogar die Landschaft im Wasser. Es gibt einen Jäger mit Hunden, das war Adelssport. Der von Raben ernährte Prophet Elias, obwohl an einem plastisch herausgearbeiteten Wasserfall gelagert, blieb ein Einzelfall, religiöse Motive eigneten sich nicht für Teetische. Man kann schließlich nicht seine Tasse auf dem Herrn Jesus abstellen. 1773 wurde die Corallenfabrik geschlossen, der Bedarf an Perlentischen war offenbar gedeckt.

Bis 3. Oktober, Di.-So. 10-17 Uhr.