Berlin. Ab Oktober ermittelt Hans-Jochen Wagner im neuen Schwarzwald-„Tatort“. Er ist eher der unauffällige Typ – und wird dafür gefeiert.

Er macht diese Handbewegung, die eine Waffe darstellen soll: rechter Zeigefinger geradeaus, Daumen nach oben. Peng! Die Faszination der Waffe – Hans-Jochen Wagner (48) lächelt. Schon als Kind habe er seine Spielzeugpistolen geliebt. Er war zwar Waldorfschüler, aber das spielte doch keine Rolle. Er erzählt begeistert, wie er mit einer Heckler & Koch am Schießstand übte. Für einen Moment scheint der Schauspieler ganz zu vergessen, dass er kein Polizist, sondern nur der Neue beim „Tatort“ ist.

Welche Macke er wohl haben wird? „Tatort“-Ermittler haben doch mittlerweile fast alle eine: bindungsgestört wie Jörg Hartmann in Dortmund, exaltiert wie Jan Josef Liefers in Münster oder übergeschnappt, wie es Devid Striesow in Saarbrücken war? Nichts da. Wagner will den Friedemann Berg, der ab 1. Oktober im Schwarzwald ermittelt, mackenfrei anlegen.

Wagner hat das Unauffällige zu seiner Marke gemacht

Der Schauspieler ist eher der unauffällige Typ. Selbst in seiner Rolle als Co-Kommissar bei „Kommissarin Heller“ war er zwar gut, aber keiner, der Zeichen setzte. Dieses Unbemerkte hat Wagner, der zum Ensemble der Berliner Schaubühne zählt, zu einer Art Marke gemacht, für die ihn seine Fans feiern.

Zurzeit ist er in Arthur Schnitzlers „Professor Bernhardi“ zu sehen – ein Theaterabend über Rassismus und Vorurteile, bei dem der Applaus nicht enden will. Es ist verblüffend, wie er einen schmierigen Gesundheitsminister gibt, der seinen Freund, Professor Bernhardi (gespielt übrigens von „Tatort“-Kommissar Jörg Hartmann), an die Justiz ausliefert: Wagner ist verschwitzt, dicklich, perfide und dabei so ungemein sanft wie böse-jovial. Kein Theaterberserker ist er wie etwa TV-Star Lars Eidinger, der ebenfalls zur Schaubühne gehört und für Furore in Serie sorgt – Wagner ist ein Meister des Kammerspiels, der beim Applaus so viel Bravos einfährt und trotzdem so aussieht, als wäre er nicht gemeint.

Er soll wie ein Wasserfall reden können

Es ist etwas Schüchternheit, das er ausstrahlt, selbst wenn er das charmant abgerockte Szene-Café in Berlin-Kreuzberg betritt. Halb zwölf mittags, seine Augen sind noch etwas klein. Cappuccino hilft. Wagner, von dem behauptet wird, dass er wie ein Wasserfall reden kann, ist ein wenig still. Er sei keiner dieser Typen, die Hunderttausende Follower haben, sagt er. Wenn er über den „Tatort“ redet, fallen Wörter wie „Experiment“ oder „andere Erzählformen“. Man kann nur hoffen, dass der Abend nicht so intellektuell wird, wie es sich gerade noch anhört.

„Intellektuell?“, ruft er in die Stille des Cafés. „Ich bin doch eher sehr emotional.“ Wenn er lacht, sieht man die Zahnlücke, sie gibt ihm etwas Unperfektes. Ein hübscher Widerspruch zu diesem scharfen Verstand, der in allen Sätzen mitschwingt und ihm eine gewisse Kühle verleiht, was nicht heißt, dass er sich nicht aufregen kann.

Die Frage, ob das Schauspielen ein Job wie jeder andere ist, macht ihn ratlos. Er sagt: „Quatsch.“ Und erzählt, dass es Spaß mache, dass ein Schauspieler immer im Dienst sei. Jedenfalls gedanklich. Abschalten sei schwierig, ja. Aber er könne doch entspannen! Zum Beispiel beim Wandern mit seiner Frau. Irgendwie klingt das unglaubwürdig.

Der Mime kommt aus einer schwäbischen Lehrerfamilie

Trotz aller Begeisterung sei ihm die Schauspielerei „nicht in die Wiege gelegt“ worden. Er hätte vielleicht Lehrer werden können, kam ja aus einer schwäbischen Lehrerfamilie. Oder was mit Landwirtschaft, aber irgendwann, ganz zart, war der Gedanke da: Werd doch Schauspieler!

„Ich war ja nie ein Clown“, sondern das mittlere von drei Geschwisterkindern, da sei man kein Hansdampf. Er war nicht der Rabauke, sondern der, der sich von Kind an über Leistung identifizierte. „Füße hochlegen, Krimis gucken“, das könne er bis heute nicht. „Da habe ich immer ein schlechtes Gewissen.“

Bei seiner ersten Rolle hat er vor Angst gezittert

Der Beste zu sein, das war seine Rolle. Doch dann fiel er durch die Prüfung an der Schauspielschule, was ihn völlig umgehauen habe. „Auf der Bühne muss man den eigenen Gefühlen vertrauen.“ Genauso schwierig seine erste Hauptrolle als Amphitryon, inszeniert von der Regielegende Hans Neuenfels am Burgtheater. „Es war furchtbar. Ich war schlecht. Ich stand jedes Mal in der Gasse, hatte Angst aufzutreten. Es war so schlimm, dass ich massive Krämpfe in den Beinen bekam.“ Monate habe es gedauert, aus dem Loch wieder herauszukommen.

Er hat es geschafft. Sein Weg führte ihn an große Bühnen und jetzt zur großen Fernsehrolle. Star-Allüren, Divenhaftes – so etwas mag er nicht. „Künstler“, sagt er und lächelt, „müssen ja nicht unbedingt Arschlöcher sein“.