Berlin. Seine Turnschuhe wurden 1985 zum Politikum. Heute sagt Joschka Fischer, sie waren gar nicht seine Idee. Es ging aber um ein Symbol.

Joschka Fischer, in Schlabber-Sacko, Jeans und Turnschuhen, die rechte Hand zum Schwur erhoben, legt seinen Amtseid als Umweltminister von Hessen ab. Die erste rot-grüne Koalition auf Länderebene ist an diesem Dezembertag des Jahres 1985 besiegelt. Ein historisches Datum für die alte Bundesrepublik. Das Foto, das den Augenblick festhält, ist heute eine Ikone – allerdings weniger wegen der politischen Bedeutung, sondern vielmehr wegen Fischers Schuhen.

Das lässige Schuhwerk galt als Symbol der Auflehnung der noch jungen Grünen gegen die etablierten Parteien – und Joschka Fischer war der Tabubrecher. Heute sagt er: „Die strahlend weißen Turnschuhe waren mir peinlich.“ Und am liebsten wäre er zur Vereidigung mit Lederschuhen angetreten – aber die Partei sei dagegen gewesen.

„Ich hab’ mich der Mehrheit gebeugt“

Auflehnung in Räuberzivil: Joschka Fischer legt vor Hessens Ministerpräsident Holger Börner (SPD) im hessischen Landtag den Amtseid als Umweltminister ab.
Auflehnung in Räuberzivil: Joschka Fischer legt vor Hessens Ministerpräsident Holger Börner (SPD) im hessischen Landtag den Amtseid als Umweltminister ab. © picture-alliance/ dpa | dpa Picture-Alliance / Heinz Wieseler

„Es gab lange Diskussionen in der Fraktion“, erzählte Joschka Fischer mit dem Abstand von mehr als drei Jahrzehnten in der ZDF-Sendung „Zeugen des Jahrhunderts“ im Gespräch mit Marietta Slomka. Und seine Parteifreunde seien der Meinung gewesen, „ich kann da nicht in schönen Lederschuhen und Anzug und Krawatte hingehen“. Man habe noch mal „ein Protestsymbol“ setzen wollen. Fischer: „Die Mehrheit war der Meinung, das muss sein. Dem hab’ ich mich gebeugt.“ Heute stehen die Schuhe im Museum. „Die Macht der Treter ist gewaltig“, lästert Fischer.

Die Kindheit war „arm aber schön“

Insgesamt vier Stunden lang stand der heute 69-jährige Fischer der „heute journal“-Moderatorin Slomka Rede und Antwort. Eine auf eine Stunde komprimierte Fassung zeigt das Zweite am späten Sonntagabend um 0.20 Uhr. Es ist ein Parforceritt durch eine der erstaunlichsten deutschen Politikerkarrieren, die vom Spontitum der linken Frankfurter Szene in den 70er-Jahren bis an die Spitze des Außenministeriums führte. Der viel zitierte Marsch durch die Institutionen – Fischer hat ihn bewältigt.

Fischer plaudert über seine Kindheit („Arm, aber schön“), seine Jugend („Ich hatte immer ein Problem mit Autoritäten“), seine Zeit in der radikal-linken Szene („Dieses Setzen auf Gewalt war aus meiner Sicht der größte Fehler, den wir und den vor allen Dingen auch ich gemacht habe“) und letztlich den Weg in die große Politik. Als Außenminister wurde er, der Grüne, direkt mit Krieg konfrontiert: Kosovo, Afghanistan. Und dann die Entscheidung, den USA nicht in den Irak-Krieg zu folgen: „Ich wusste, wie schief das geht.“

„Es juckt mich überhaupt nicht“

Heute hat Joschka Fischer vier Enkelkinder, im nächsten Jahr wird er 70. Aus der Politik hat er sich nach dem rot-grünen Machtverlust 2005 schnell verabschiedet. „Ich wollte raus“, sagt er, „mir ist es nicht schwer gefallen.“ Und heute? „Juckt es manchmal noch in den Fingern?“, will Marietta Slomka wissen. „Es juckt mich überhaupt nicht. Ich hatte meine Zeit, und die ist vorbei.“ Turnschuhe trägt er schon lange nicht mehr.

• Zeugen des Jahrhunderts, ZDF, Sonntag, 9. Juli, 0.20 Uhr

Die komplette vierstündige Fassung des Interviews ist ab Sonntagnacht parallel zur einstündigen Sendung unter https://jahrhundertzeugen.zdf.de abrufbar.