„Tatort“ Köln – So hart ist das Karnevals-Geschäft wirklich
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Von Leon Scherfig
Köln. Konkurrenz, Druck, Intrigen: Der Kölner „Tatort“ zeigte, wie hart das Geschäft einer Tanzgruppe sein kann. Inwiefern trifft das zu?
Es war das erste Mal seit 18 Jahren, dass die „tollen Tage“ in der Domstadt wieder eine tragende Rolle im „Tatort“ gespielt haben: Die Folge „Tanzmariechen“ wollte die Welt hinter den Kulissen des Karnevals zeigen; den Leistungsdruck, der auf den Akteuren der „fünften Jahreszeit“ lastet.
Der Regisseur Thomas Jauch hatte für die Recherchen mit seiner Assistentin laut eigener Aussage viele Abende in Kölner Turnhallen verbracht, um Karnevals-Tanzgruppen beim Training zu beobachten. Der Krimi schildert das brutale Geschäft der Vereine, den Druck auf die Tänzerinnen, den Wirtschaftsfaktor Karneval. Wie nah an der Realität war der ARD-Krimi? Ein Faktencheck.
• Steigt der wirtschaftliche Druck auf die Vereine?
Ja, laut Beobachtern schon. „Eine Tanzgruppe kostet sehr viel Geld. Gleichzeitig fällt es den Gruppen wegen der wachsenden Konkurrenz zunehmend schwer, ihre Kosten zu decken“, sagt Wilfried Wiltschek. Der Kölner tanzte selbst mehrere Jahre während der „tollen Tage“ und behandelt nun für das Festkomitee Kölner Karneval die Verletzungen von Tanzmariechen und Co. „Kosten fallen an für den Choreographen, die Musiker, die eigens Stücke komponieren, die Orchesterleitung, angemietete Hallen und Busse fürs Team“, so Wiltschek.
Damit wachse der Druck auf die Vorsitzenden. Eine Truppe koste bis zu 40.000 Euro im Jahr, sagt Wiltschek. „Während die Anzahl der Auftritte in den vergangenen Jahren stagnierte, ist die Zahl der konkurrierenden Gruppen explodiert.“ Das bedeutet: Wenn ein Verein früher noch knapp 100 Auftritte (die Gage beträgt 900 bis 1000 Euro) ergatterte und mittlerweile nur noch 20 bis 25, bleibt unter Strich eine fette rote Zahl.
In den vergangenen Jahren ist die Zahl der Tanzgruppen auf den Kölner Karnevalsbühnen massiv gestiegen: 31 offizielle Tanzgruppe listet das Festkomitee Kölner Karneval derzeit auf seiner Website. Eine Abfrage des Internet-Archivs archive.org zeigt: Im Jahr 2012 waren es laut Festkomitee noch 21 Tanzgruppen. „Und das hat Konsequenzen. Die Akrobatik wird immer spektakulärer – und damit auch gefährlicher“, beobachtet der Physiotherapeut Wiltschek.
• Haben die Verletzungen der Tänzer zugenommen?
Aus der Erfahrung heraus sagt Wilfired Wiltschek: ja. Im „Tatort“ zieht sich die Tänzerin Saskia einen Ermüdungsbruch zu und tanzt unter Schmerzmittel trotzdem weiter. „Diese Darstellung ist absolut realistisch“, bestätigt Karneval-Fachmann Wiltschek. Die Tänzerinnen täten alles, um vorne mit dabei zu sein, auch Schmerzmittel seien gang und gäbe.
Tanzmariechen im Kölner „Tatort“
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Ob Zerrungen, Verstauchungen oder andere Verletzungen – viele Tänzerinnen und Tänzer ignorierten derlei Beschwerden, um in der ersten Garde mitzutanzen. „Das liegt eben auch an den immer waghalsigeren Auftritten. Wo früher ein Salto reichte, muss es heute gleich ein doppelter sein“, sagt Wiltschek.
Allerdings: Das Schmerzmittel, das im „Tatort“ vorkommt, mit dem Namen „Lysiprofen 900“ verkauft die Apotheke allerdings nicht. Das Mittel ist, wie üblich in dem ARD-Krimi, eine Erfindung und entspringt der Fantasie des Drehbuchautors.
• 183 Euro für ein Kostüm – ist der Spaß tatsächlich so teuer?
Satte 183 Euro kostet das Prinzessinnen-Kleid, das Hauptkommissar Schenk für seine Enkeltochter kauft. Nicht umsonst singt die Kölner-Mundart-Band „De Räuber“: „De Oma jeht nom Pfandhuus, versetzt et letzte Stöck,denn d´r Fastelovend es für sie et jrößte Jlöck.“ Die närrische Zeit kann teuer werden.
Für Kostümverkäufer wirkt Karneval hingegen wie ein Konjunkturprogramm: In der Karnvalssession 2014/15 erzielten die Firmen, die sich zur Fachegruppe Karneval zusammengeschossen haben, einen Umsatz von 273,6 Millionen Euro. Und das Geschäft läuft immer besser: Im Vorjahr waren es noch rund zwei Millionen Euro weniger. Insgesamt brachten die Kostümverkäufer etwa 2,5 Millionen Erwachsenenkostüme, 1,15 Millionen Kinderkostüme, 770.000 Perücken, 1,9 Millionen Hüte sowie 8,4 Millionen Schminksets an die Jecken.
Starke Frauen ermitteln im „Tatort“
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• Was ist dran am Vorwurf, der Karneval sei reines Geschäft?
Im „Tatort“ wirft Rainer Pösel, Vater der Toten Evelyn, dem Vereins-Präsidenten vor, dass er den Karneval zerstöre. Er denke nur noch ans Geschäft. Klar ist: Die Kassen klingeln. Laut einer Studie der Boston Consulting Group (BCG) entfaltet der Kölner Karneval jedes Jahr eine Wirtschaftskraft von 460 Millionen Euro. Ungefähr ein Drittel der Summe entfällt auf Karnevals-Züge, Sitzungen und Kneipenkarneval. Der Beitrag zum Gewerbesteueraufkommen der Stadt liegt laut der Studie bei 4 bis 5 Millionen Euro.
Aber natürlich geht es nicht nur ums Geschäft, sagt Wiltschek. Es geht auch darum, dass die Tänzerinnen sich einen Lebenstraum erfüllen, wenn sie als Tanzmariechen vor die Narren treten. Auch wenn es in vielen Fällen ein – nicht ungefährlicher – Weg dorthin ist.