Hamburg. 70-Stunden-Wochen, wichtige Mails nach Feierabend und auch am Wochenende noch am Schreibtisch: Bei Workaholismus ist schnelles Handeln gefragt.

Wer Sucht hört, denkt meist an Drogenjunkies oder vielleicht noch an Spielsüchtige. Doch auch Arbeit könne abhängig machen, sagt die Psychologin Ute Rademacher, Professorin an der ISM International School of Management in Hamburg. Sie hat ein Buch über den sogenannten Workaholismus geschrieben. Arbeitssucht kann alle treffen, sagt sie – vom Spitzenmanager über den Krankenpfleger bis zum Arbeitslosen.

Den Begriff Workaholic gibt es ja schon länger. Aber ist Arbeitssucht tatsächlich eine Krankheit?

Studien belegen klar, dass man auch nach Arbeit süchtig werden kann. Wenn wir die Kriterien der Weltgesundheitsorganisation anlegen, erfüllt die Arbeitssucht alle Kriterien. Sie ist eine sogenannte substanzunabhängige Verhaltenssucht, ähnlich wie Glücksspiel- oder Sexsucht. Klinisch und von den Krankenkassen ist das zwar noch nicht anerkannt – ich gehe aber davon aus, dass sich das in Zukunft ändern wird.

Wer regelmäßig 60 oder 70 Stunden in der Woche arbeitet, ist also arbeitssüchtig?

Tatsächlich ist es so, dass Arbeitssüchtige regelmäßig mehr arbeiten. Umgekehrt gibt es aber auch viele Berufstätige, die jede Menge Überstunden machen und nicht arbeitssüchtig sind.

Woran erkenne ich Arbeitssucht?

Das größte Alarmzeichen ist, wenn Sie sich nicht gut fühlen, wenn Sie nichts zu tun haben. Wenn Sie nicht mehr einfach nur mal sitzen und den Tag genießen können, wenn Sie heimlich arbeiten und dafür sogar Ihre Familie anlügen oder wenn Sie immer Arbeit mit nach Hause nehmen, dann ist das ein Problem.

Was hilft dagegen? Hobbys?

Das wird dann oft geraten: „Such dir einen Ausgleich.“ Aber das ist auch nicht immer die Lösung. Denn viele Arbeitssüchtige machen dann nicht zweimal die Woche Yoga, sondern trainieren sich in sechs Wochen fit für den Halbmarathon und verausgaben sich dabei. Das ist dann auch wieder eher ein Projekt und eher Teil der Sucht. Ich drehe das gerne um und frage „Wann machen Sie denn einfach mal nichts? Und wie fühlen Sie sich dabei?“ Wenn Sie darauf keine Antwort wissen, dann wird es kritisch.

Es sind also Manager und Führungskräfte, die besonders gefährdet sind?

Nicht nur. Es gibt unterschiedliche Typen von Arbeitssüchtigen. Sehr gefährdet sind einerseits tatsächlich diejenigen, die viel Verantwortung tragen. Wenn im Job unglaublich viel von mir abhängt, ist es natürlich schwerer, pünktlich um fünf den Stift fallen zu lassen. Aber da sind zum Beispiel auch die Berufstätigen, die sich sehr mit ihrem Job identifizieren - in der Kranken- und Altenpflege gibt es das ganz viel, unter Politikern auch. Für diese Menschen ist das Loslassen oft auch sehr schwer.

Das gibt es ja auch im Privatleben, da ist es sogar positiv besetzt. Dieses „Ich kann nicht stillsitzen“.

Es gibt sogar arbeitssüchtige Arbeitslose, so absurd das klingt. Arbeitssucht hängt nicht nur mit Erwerbsarbeit zusammen. Es gibt auch Mütter, die es schwer ertragen können, wenn nicht alles perfekt ist. Und im Kleingarten- und im Sportverein gibt es Leute, die sich überall engagieren und dabei verausgaben. Aber den größten Anteil macht schon die Erwerbsarbeit aus.

Und was kann ich selbst tun, um mich vor Arbeitssucht zu schützen?

Ich kann in meinem Leben mehr Raum schaffen für Dinge außerhalb der Arbeit. Ein gutes Umfeld mit Freunden und Familie kann sehr hilfreich sein, weil es im Zweifelsfall auch Alarm schlagen kann. Das ist enorm wichtig. Denn wenn es mich schon erwischt hat, komme ich ohne professionelle therapeutische Hilfe nicht mehr weiter. Das ist dann mit drei Coaching-Stunden nicht aus der Welt, sondern ein langer Weg. Deshalb ist es wichtig, Arbeitssucht möglichst frühzeitig vorzubeugen und bei Bedarf einzugreifen.