Braunschweig. In Braunschweig protestieren 1500 Menschen zivilisiert gegen Kürzungen der Bundesregierung im Agrarbereich. Einige ernten Buhrufe und Pfiffe.

Mit 350 Traktoren hatten die Organisatoren gerechnet, es kamen viel mehr. Ob nun die von Landvolk-Chef Karl-Friedrich Wolff von der Sahl genannten 1800 Trecker durch die City rollten oder die von der Polizei geschätzten gut 1000: Der Protest übertraf alle Erwartungen. „Ich bin überwältigt“, sagte Landvolk-Vize Christian Wohlenberg nach der Kundgebung am Braunschweiger Schloss. „Das war eine eindrucksvolle Zeugniskonferenz für unsere Regierung.“

Gute Noten sind es freilich nicht, die die Landwirte der Ampelkoalition ausstellen. Der „Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat“ – die Redewendung wird an diesem Montag immer wieder bemüht – ist die jüngste Kürzung im Agrarbereich: Zwar soll nach einem Einlenken der Politik die Steuerbefreiung für landwirtschaftliche Fahrzeuge erhalten bleiben. Der Zuschuss zum Agrardiesel soll aber schrittweise wegfallen. Ein politischer Kompromiss, der den Bauern untragbar erscheint.

Das betonten viele in Braunschweig. Etwa Karoline Vorlop aus Gielde im Landkreis Wolfenbüttel. „Die Hälfte unserer Forderungen wurde nicht erfüllt“, sagte sie bestimmt. „Deswegen machen wir weiter.“ Ihre Ablehnung begründet das 24-jährige Vorstandsmitglied des Braunschweiger Landvolks mit der „Angst um den Agrarstandort Deutschland“. Viele Passanten, mit denen sie am Montag schon gesprochen habe, hätten dafür Verständnis gezeigt, berichtet Vorlop. Die Bäckerei Milkau habe den Demonstranten sogar Kuchen gespendet.

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Viele machen im Gespräch deutlich, dass es ihnen um mehr geht als KFZ-Steuer und Diesel. Felicitas Naundorf (47), Landwirtin aus Königslutter, kritisierte etwa, viele von der Politik „am Schreibtisch erdachte Vorgaben“ seien in der Realität kaum umsetzbar. Viel zu lange hätten sie und ihre Berufskollegen stillgehalten. Damit sei Schluss. „Wir Bauern haben aufgrund unserer Stellung eine gewisse Macht in diesem Land“, sagte sie. Das werde man jetzt deutlich machen. Spürbar angefasst fügte sie hinzu: „Wir dulden nicht, dass die heimische Landwirtschaft abgeschafft wird.“

In die gleiche Kerbe schlug Luis Lütgering, stellvertretender Vorsitzender des Braunschweiger Landvolks, in seiner erhitzten Rede. Er zählte, wie später auch Henrik Meyer von der Gruppe „Land schafft Verbindung“, politische Entscheidungen auf, die die Bauern belasteten: Kürzung der Flächenprämien, eine verschärfte Düngeverordnung, strengere Regeln beim Pflanzenschutz, verpflichtende Flächenstilllegungen, Streichung von Investitionsförderungen und nun eben die Abschaffung des Diesel-Zuschusses. „Wollen wir das alles?“, fragte Lütgering die Menge lautstark. „Nein!“, scholl es hundertfach zurück. Mit Blick auf den Bauernprotest kündigte er an: „Das ist nur der Anfang. Ein Ende ist nicht in Sicht.“

Meyer, der nach Lütgering sprach, zeigte sich erfreut über die „gewaltige Rede“ von Ministerpräsident Stephan Weil, in der dieser eine volle Rücknahme der Kürzungen befürwortet hatte. „Mal sehen, was er davon durchsetzt.“

SPD-Bundestagsabgeordnete erntet viele Buhrufe von Landwirten

Keinen leichten Stand hatte dennoch Weils Parteifreundin, die SPD-Bundestagsabgeordnete Dunja Kreiser. Ihre Rede unterbrachen die Demonstranten immer wieder lautstark, sodass sie streckenweise kaum zu verstehen war. Kreiser verteidigte die Ampel-Politik. Indem man die „Agrardieselrückvergütung“ erst schrittweise über mehrere Jahre abschaffe, hätten betroffene Betriebe nun genügend Zeit zur Anpassung.

Bundestagsabgeordnete Dunja Kreiser (SPD) erhielt bei ihrem Auftritt auf dem Braunschweiger Schlossplatz viel Gegenwind.
Bundestagsabgeordnete Dunja Kreiser (SPD) erhielt bei ihrem Auftritt auf dem Braunschweiger Schlossplatz viel Gegenwind. © FMN | Bernward Comes

„Wir müssen mit diesem Urteil umgehen“, appellierte sie mit Blick auf den Spruch des Bundesverfassungsgerichts, der jüngst ein 60-Milliarden-Loch in den Bundeshaushalt gerissen hatte. An die Adresse der Landwirte sagte sie: „Mit diesem Kompromiss ist die Bundesregierung auf Ihre Bedenken eingegangen.“ Hierfür erntete sie lediglich Pfiffe und entrüstetes Buhen. Die gleiche Reaktion folgte ihrer Bemerkung, die Transformation der Landwirtschaft mache es nun einmal notwendig, „auch Ewigkeitssubventionen“ abzuschaffen, „insbesondere wenn diese klimaschädlich sind“. Trotz abweichender Meinung zollte Landvolk-Vize der Sozialdemokratin später Respekt dafür, wie sie am Rednerpult „ihren Mann gestanden“ habe.

Ein rhetorischer Schlagabtausch auf der Bühne kreiste um die Frage, ob allein die Ampel für die Kürzungen verantwortlich sei. Kreiser unterstrich, im zuständigen Bundestagsausschuss hätten die Vertreter aller Fraktionen den Subventionskürzungen zugestimmt – auch die von Unionsparteien und AfD.

Der CDU-Bundestagsabgeordnete Carsten Müller mochte das so nicht stehen lassen. „Ja, wir haben zugestimmt“, betonte er, aber die Union habe dies mit der Forderung verknüpft, Einbußen anderweitig auszugleichen. Damit habe sich seine Partei als Anwalt der Landwirte gezeigt.

Die FDP-Bundestagsabgeordnete Anikó Glogowski-Merten unterstrich in ihrem Redebeitrag schließlich, dass die Landwirtschaft die Teilrücknahme der Subventionskürzungen vor allem ihrer Partei zu verdanken habe. „Die falsche Entscheidung wurde korrigiert“, und „die Vernunft hat gesiegt“, sagte sie zur KFZ-Steuerbefreiung, die nun erhalten bleibt. Viel Applaus erhielt sie dafür nicht. Die Liberale bezog auch Stellung zur Form des Protests. Ohne die jüngste Blockade der Urlaubsfähre von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck zu nennen, rief sie: „Einschüchternder Protest, die Androhung von Gewalt oder das Lahmlegen des ganzen Landes sind nicht akzeptabel.“ Erneut pfiffen und buhten einige Teilnehmer, die weit größere Mehrheit schwieg.

Flatterband, Plakate, Galgen – Traktoren tuckern durch das Braunschweiger Land

Fragwürdige Symbole gab es auch bei Demos in der Region. In Gifhorn war am Montag ein Galgen gezeigt worden, an dessen Strick baumelte eine Ampel. Landwirtin Karin Loock aus Jembke im Landkreis Gifhorn sagte in Braunschweig dazu: „Sowas finde ich nicht ok. Das ist höchst undemokratisch.“ Andere Teilnehmer erklärten dagegen, sie hielten die Diskussionen über die angemessene Protestform für „aufgebauscht“ – von missgünstigen Medien.

Die Transparente, die die Landwirte in Braunschweig an den Traktoren präsentierten, drückten fast allesamt ernste Sorge um Landwirte und ihre Branche aus. „Ist der Bauer ruiniert, wird dein Essen importiert“, war darauf zu lesen. „Landwirtschaft macht alle satt, auch die Gegner, die sie hat.“ Obwohl die Zahl der Teilnehmer die Erwartungen bei weitem überstiegen hatte, war die Einsatzleitung der Polizei nach dem Einsatz „mit dem Verlauf zufrieden“. Landwirte und Polizei hätten gut kooperiert und reibungsfrei kommuniziert, hieß es. Es habe „keine besonderen Vorkommnisse“ gegeben.

An den Traktoren in der Braunschweiger Innenstadt prangten Transparente gegen die Ampel-Politik. Gezeigt wurde auch ein Galgen in Regenbogenfarben.
An den Traktoren in der Braunschweiger Innenstadt prangten Transparente gegen die Ampel-Politik. Gezeigt wurde auch ein Galgen in Regenbogenfarben. © FMN | Bernward Comes